Über ein Drittel an essbaren Nahrungsmittel landen in Österreich im Müll. Wäre eigentlich nicht nötig. Einen Gang runterschalten und reflektieren.
Man kennt die Situation aus dem eigenen Haushalt, sofern einem die Kochkunst vertraut ist: In der Gemüseschale liegen noch eine halbe Gurke von vorgestern und einige überreife Cocktailtomaten. Daneben strahlt ein wunderbarer, frischer Salat vom Markt mit sich um die Wette. Und jetzt? Salat will man den frischen, am besten die Gurke schnell entsorgen? Stop! Bitte umdenken. Am besten nicht wegwerfen, sondern daraus eine gute Gurken-Tomatensuppe machen und ganz entspannt essen.
Es muss nicht gleich ein Huhn sein, das samt Folie ungeöffnet im Restmüll landet, aber so gut wie jeder Haushalt in Österreich verschwendet Lebensmittel. Sonst würde man nicht auf die erdrückende Zahl von rund aller Lebensmittel kommen, die im Müll landen. Der WWF Österreich spricht sogar von über 40 %. In Österreich sollen es jährlich rund 1 Million Tonnen sein, die in den Müll wandern, über 500.000 Tonnen, also mehr als die Hälfte, werden laut WWF durch die privaten Haushalte verursacht – man darf sich von dieser Zahl nicht erschlagen lassen. Aber wie gesagt, alles beginnt bei einer halben entsorgten Gurke.
Wer hat Angst vor dem Konsumenten?
Die NGOs nehmen hier grundsätzlich den Handel in die Kritik, der Großpackungen oder Lockangebote macht, die Glitzerwelt tut dazu den Rest. Der Handel wirkt klug gegen die Verschwendung. Den Einkauf zu optimieren, läuft immer besser. Dazu arbeitet man mit sozialen Diensten wie »Die Tafel Österreich« oder Social-Impact-Unternehmen wie »Too Good To Go« zusammen – eine Art Sozialhilfe, die Sinn macht.
Allgemein fällt bei den NGOs die Kritik am Endverbraucher eher zu gering aus. Als Hauptverursacher der »Lebensmittel-Müllerzeugung« sollten die Endverbraucher, also wir, mehr in die Mangel genommen werden. Davor fürchtet sich die Politik, interessanterweise auch die Medien. Warum eigentlich? Bekanntlich wurde von der Straight-Edge-Bewegung in den 1980er-Jahren bereits beklagt, dass es nicht darauf ankommt, was verkauft wird, sondern was gekauft wird. Heute könnte man noch hinzufügen: wie viel gekauft wird.
Sehen, riechen, kosten.
Jeder von uns kann sich einen Reim darauf machen, was passiert, wenn die Befüllung des Einkaufswagens eine gewisse Höhe überschreitet. Ein Blick in die Abfalltonnen bei Mehrfamilienhäusern offenbart das Malheur: Vom Sack Kartoffeln bis zum blühenden Basilikum findet dort viel Platz. Worauf aufpassen, wenn der Einkauf in der Norm bleiben soll? Der Einkaufszettel sollte dabei sein, dazu kauft ein hungriger Magen zu gerne ein. Hinzu kommen in den Haushalten Zeitmangel, falsche Lagerung, fehlende Kochideen und Fehlinterpretationen des Mindesthaltbarkeitsdatums. Abgelaufene Nudeln werden nicht am nächsten Tag schlecht sein und auch ein Sauerrahm wird, richtig gelagert, einige Tage nach dem Ablaufdatum nichts an seiner Frische verloren haben. Und wenn doch? Der Sinnes-Tests »ansehen, riechen, kosten« funktioniert in vielen Fällen und bringt den Konsumenten wieder Menschenverstand bei. Den größten Anteil an Weggeworfenen machen Brot- und Backwaren aus, gefolgt von Obst und Gemüse.
Das Dilemma sitzt tiefer. So pervers es klingen mag, die Verschwendung keimt in einer der größten Leistungen des Sozialstaats: Seit den Wirtschaftswunderjahren ist in Österreich die Gesamternährung finanziell abgesichert, keiner muss mehr Hunger leiden. Das monatliche Budget für eine gesunde Ernährung in Österreich wird mit 164 Euro berechnet, das für eine Vierkopf-Familie mit 563 Euro. Das lässt ziemlich viel Spielraum zum Trantscheln. »In den 70er-Jahren hat man 40 % des Haushaltseinkommens für die Ernährung ausgegeben. Für die Freizeit 10 bis 15 %. Heute geben wir weniger als 10 % für das Essen und 40 % für die Freizeit aus«, meint dazu Landwirtschafts-LR Hans Seitinger, sowie dass »durch zu günstig gekaufte Nahrung die Wegwerf-Barriere fehlt.« Viele Lebensmittel landen ungeöffnet im Müll, in der Zeit der Pandemie stiegen diese Zahlen. Der Mensch scheint trotz aller Organisation ein unorganisiertes Wesen zu sein.
Verzicht durch Teuerung
Natürlich wird durch die derzeitigen Teuerungen das unkontrollierte Einkaufen automatisch eingebremst, das merkt man auch noch an der wohlbetuchten Käuferschaft am Kaiser-Josef-Markt in der Grazer City. Schnell einmal nach Lust und Laune den Einkaufskorb zu füllen, um darauf noch gut gelaunt zwei Prosecco zu zwitschern, sieht man zurzeit seltener. Das Gute daran ist, es bleibt weniger lasches Gemüse nach dem Wochenende zurück. Und ganz ohne Sarkasmus gibt es hier durchaus Stimmen, die das begrüßen: »Definitiv! Man sieht auch, dass für soziale Einrichtungen weniger Ressourcen bleiben, als noch vor den Preissteigerungen«, so Fleischhauer-Legende Josef Mosshammer in der Grazer Zinzendorfgasse.
Langfristig wird der Verzicht aufgrund zu hoher Preise jedoch keine Lösung sein, weil jede Inflation einmal ihr Ende findet und die Preise sich wieder senken. Grausam, man kann sich hier die Supermarkt-Schlachten um den günstigsten Preis vorstellen, wo am Ende des Tages jemand die Rechnung zahlen wird. Aber Vorsicht: Der Mensch kauft eben gerne ein und der Markt reguliert sich nun einmal nach Angebot und Nachfrage. Das ist jetzt beim neuen Tennis-Set nicht anders als beim Wochenendeinkauf.
Hinzu kommt, dass die Gesellschaft in den letzten 40 Jahren radikal umgekrempelt wurde. Waren laut DIW Berlin 1985 ungefähr 40 % beider Elternteile erwerbstätig, sind es 2023 über 73 %. Das heißt, dass nach einem 8/40h Job mit hungrigen Magen in das Einkaufszentrum gehetzt wird, um für das nötige Futter zu sorgen. Dazu fehlt oft der strukturierte Einkaufszettel und der Speiseplan. Wichtiges wird vergessen und die Reizüberflutung macht den Rest. Zu Hause angekommen, sorgt die unorganisierte Haushaltsplanung oft für Frust: Mit den halben Produkten schmeckt das Gekochte nicht so, wie erwartet. Keine Rezeptideen, plötzliche Unlust zu kochen sowie Angst vor dem Versagen stehen laut Umfragen bei der Lebensmittelverschwendung ganz oben. In Österreich leben laut einer Erhebung von Parship zwei Millionen Singles, was etwa 30 Prozent der Bevölkerung entspricht. Dass Singles in unserer Gesellschaft einen wichtigen Raum einnehmen, steht außer Frage, dass es als Singlehaushalt noch immer schwieriger ist, in geringen Mengen einzukaufen, ebenso. Wir sehen, auch ungewollt bleibt viel übrig und landet im Müll. Hoffentlich im richtigen.
Entspanntes Einkaufen als Genuss
Vieles würde nicht passieren, wenn eine gewisse Besinnung wieder Einzug in unser Gesellschaftsleben finden würde, von einer Muße soll schon gar nicht geredet werden. Diese beginnt quasi beim Gestalten des Einkaufszettels – den Partner hierfür mit einzubeziehen, ist auch nicht so schlecht – geht über den Einkauf und endet beim Kochen. In der Not werden wieder Tugenden entdeckt, tatsächlich sind wieder mehr Einkaufszetteln zu sehen, Körbe statt Plastiksackerln und das Eigenheim als funktionierenden Rückzugsort auserkoren. Zielorientiertes Einkaufen spart finanzielle Mittel und Ressourcen. Hinzukommen müsste eine gewisse Entschleunigung. 800 Euro Ersparnis sind vielleicht ein Anreiz, zielführender wäre eine Slow-Shopping-Food-Gesellschaft. Natürlich abgeleitet von der Slow-Food-Bewegung – die auf hochwertiges Essen mit hochwertigen Produkten aus der Region, verbunden mit einer gewissen Entspannung, aus ist – wäre eine Slow-Shopping-Food-Gesellschaft eine bewusste Möglichkeit von der Gestaltung des Einkaufszettel bis zum Verzehr der Nahrung mit einem Lebensgefühl zu unterlegen.
800 Euro werden durchschnittlich pro Haushalt vergeigt. In Zahlen macht das 229.000 Tonnen Lebensmittel sowie Speisereste. Das sind 25,5 Kilogramm pro Kopf oder fast 58 Kilogramm pro Haushalt.
Text: Martin G. Wanko