Der Rote wird besser, je länger man ihn rumliegen lässt.
Nein, das ist natürlich kein politisches Statement in unruhigen Wahlzeiten, sondern ein offenes Geheimnis unter Laien-Vinologen. Professionelle Marketing-Önologen mit einem Naserl fürs Plakative haben daher schon vor Jahren an den Roten das Etikett vom Alten Knaben vergeben. Hier soll sich beileibe keine Werbung einschleichen, sondern nur die Überleitung zum eigentlichen Thema. Dem Altern in Würde, bis man wie der gute Rote für die letzte Reise ins Holzkistl kommt.
Wein, Weib und Gesang begleiten einen guten Boomer-Mann sein Leben lang, könnte man frei nach Martin Luther reimen – oder wem man das Zitat über die Wikipedia-Bande eben unterjubeln möchte. Im Alter, wenn Stimme bricht und sich Weib nach Jüngeren umsieht, bleibt alten Knaben nur noch Rebensaft.
Dass das Leben mit jedem neuen Plus hinterm 40er immer schwieriger in Würde zu bestreiten ist, weiß jeder, der sich jugendlich wähnt, jugendlich gibt und das Zwicken an allen Ecken und Enden zu verbergen sucht. Da kommt schon einmal eine Göre, wenn man am Gassenfest voller Lebenslust tanzt wie sonst nur Travolta, und tönt aus knallroten Lippen: „Kannst Du die Hüften eigentlich nicht mehr bewegen?“ Ein tiefer Stich ins mühsam aufgeblasene Ego.
Oder zuletzt, als ich im „Scherbe-Keller“ vom rhythmischen Rumhüpfen direkt in den Smalltalk mit einer Tanznachbarin gestolpert bin. Sie war voll fokussiert, checkte nach Liste meinen Namen, Beruf und Jahrgang ab. Beim letzten Punkt kam mir in den Sinn, dass 1984 doch ein guter Bordeaux-Jahrgang gewesen sein soll. Ich entschied mich dann doch für die ganze, ernüchternde Wahrheit, „1972“, schob aber ein passiv-aggressives „Warum?“ zur Abfederung nach. Eine Antwort blieb sie mir zunächst schuldig. Doch der Satz, den sie dann, mich musternd, mit spitzen Lippen und gerunzelter Stirn in die Unterwelt entließ, könnte einmal auf meinem Grabstein stehen: „Da unten ist das Licht wirklich schlecht.“ Immerhin hatte sie mich im Keller für jünger gehalten. Gut gelagert halt.
Jetzt würde ich lügen, behauptete ich, nur wegen ein, zwei Rückschlägen schwänge ich das Tanzbein nicht mehr, oder ließe deshalb die Finger von Wein und Gesang. Aber wahr ist, die Gelegenheiten werden düsterer und so mache ich mir schon dann und wann Gedanken über unser aller Recycling-Optionen. Eine davon ist mir neu begegnet: Jüngst habe ich bei einer Beerdigung in einem Waldfriedhof gesungen. Das war traurig, doch – inmitten der Bäume – anmutig, schön und friedlich. Aber gut, man verschwindet halt danach sang- und klanglos im Wald.
Da mir immer mehr Freunde erzählen, sie hätten gerne, dass etwas von ihnen bliebe, prüfe ich gerade auch eine andere Art meiner ureigensten Erhaltung. Das wäre quasi ein Fall fürs Plastikrecycling à la Dr. Tod: Ich könnte meine Leiche spenden und dank Gunther von Hagens Plastinationstechnik mit Silikon und anderem Plastikzeug stärken lassen. So fände ich – nackter, als Gott mich je erschaffen hat – Einlass in seine „Körperwelten-Ausstellungen“ – also Hagens, nicht Gottes. Dort wäre ich dann für immer ju…, naja dings halt, und auf Achse. Wenn auch erst wieder im Holzkistl.
Meine Pose im Leichenkabinett des Doktors: Ein singender Tänzer, mit Mikro in der Rechten und einem guten Roten in der Linken. Dann werden sie gebannt auf mich schauen, immer nur bei bestem Licht! Blöd nur, wenn die kleine Vorlaute vorbeikommt und tönt: „Alter Knabe, kannst Du Deine Hüften immer noch nicht bewegen?“ Da wäre es von Vorteil, einen Grabstein zu haben, der sie im Fallen zum Schweigen bringt.
Text: Bernd Hecke