Wenn die Zeiten herausfordernder werden, wird der Ruf nach der »guten alten Zeit« laut.
Seit der Industriellen Revolution wird von der »guten alten Zeit« gesprochen. Das nur vorab. Ich finde, 20 Jahre zurückzudenken hat etwas, das wäre aus heutiger Sicht 2003. Da wären wir jetzt in Graz zum Beispiel, mitten im Kulturhauptstadtjahr 2003. Ob man jetzt dieses Großevent mag oder nicht – man muss zugeben, dass in Sachen Kultur hier sehr viele nach Graz geschaut und Graz besucht haben. Auch die nächsten Jahre ist noch eine auffallende Zahl an Besuchern, aufgrund des Kulturjahres, nach Graz gekommen. Das Marketing-Konzept ist also wirklich aufgegangen. Das war nachhaltig. 2003 wurde das Wort Nachhaltigkeit noch nicht so oft verwendet, so gesehen war es auch noch nachhaltig.
Aus One wurde Orange und aus Orange wurde 3
Was war noch? Der GAK ist in der Saison 2003/04 Österreichischer Fußballmeister geworden und Sturm als 9. fast abgestiegen. Ob das jetzt wirklich gut oder schlecht für die Roten war, ist schwierig zu beurteilen. Tatsache ist, der GAK ist ja wieder auf dem Weg zurück zu alter Stärke und Sturm wieder ganz oben. Damals hat es bereits SMS gegeben, aber noch nicht »fast« kostenlos von der Stange, doch Bluetooth war so gut wie neu. Es gab noch keine Smartphones, zumindest nicht so weit verbreitet, so auch nix zum Wischen, es war eher die Zeit, wo die Handys noch klein gehalten waren. Telefoniert habe ich damals mit dem Anbieter One. Aus dem wurde dann Orange und aus Orange wurde 3.
Dramen in der Telefonzelle
Es hat noch Telefonzellen gegeben, in denen tatsächlich telefoniert wurde. Für die Jüngeren: Das sind diese Kästen mit Schwingtür, wo ein Telefonapparat mit einem Hörer angebracht ist. Will man telefonieren, hebt man ihn ab, wirft Geld in den vorgesehenen Schlitz und wartet auf das Freizeichen. Dann wählt man die gewünschte Nummer. Falls es eine Festnetznummer ist, braucht man eine Vorwahl dazu. Manchmal war ein regelrechter Run auf Telefonzellen. Hörte einer auf zu telefonieren, betrat schon der nächste das Häuschen und sprach in den gleichen Hörer, wie die vor ihm, ohne da viel mit Desinfektiontüchern herumzuwischen. Damals hatte man auch noch eine geringere Angst vor Keimen und Viren. Ich sag das nur so, in Zeiten von Covid und Co. Vielleicht standen sich die Menschen damals noch näher, als es heute von Nöten ist. Vielleicht grauste man sich auch weniger von einander oder dachte einfach nicht mit.
Bevor das Handy erfunden wurde, spielten sich manchmal auch echte Dramen in der Telefonzelle ab. Es war ja oft der einzige Ort, an dem man sich zurückziehen konnte, wenn das einzige Telefon im Haushalt, ein Festnetz, auf einem zentralen Platz stand und Telefonate von jedem mitgehört wurden. Fast unangenehm war einem dann das Warten außerhalb der Zelle, da man regelrecht spürte, dass hier etwas zu Ende ging und schon stand eine Person mit Tränen in den Augen vor einem. No jo. Taschentuch gefällig?
Mehr Zeit zum Zeit haben
Also WLAN gab es keines und Internet (fast) nur auf dem PC. Die Laptops waren noch Mangelware und oft gab es pro Haushalt nur einen PC, wenn überhaupt. Das riecht alles nach der einen Sache: Zeit haben. Damals hatte man noch mehr Zeit, zum Beispiel zum »Profil« und »Spiegel« lesen, Magazine für Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kunst. Gibt es auch heute noch, nur schaut (fast) keiner mehr hinein. Wahrscheinlich weil Entertainment gegenüber Wissen gesiegt hat. Heute ist es schon viel, wenn orf.at gelesen wird, das gab es übrigens 2003 auch schon. Also, ich glaube, man wurde 2003 weniger abgelenkt. Anders ausgedrückt: Die Industrie hatte noch nicht so gute Möglichkeiten uns vom Denken abzulenken.
1.000 Dinge fallen mir mittlerweile ein. Früher durfte man noch fast überall rauchen. Gedampft hat es maximal aus der Kühlerhaube im Sommer. Fleisch aß man, wie verrückt: Motto: Zuviel ist nie genug und günstiger geht immer. Greenpeace fuhr mit Schiffen über das Meer und hielt Walfischfänger auf, heute klebt man sich auf der Straße fest. Die Liste kann endlos fortgesetzt werden.
Damals wartete man auch noch auf eine neue Software bei den Anbietern, oder auf Hüllen, ließ das Handy schnell richten, oder kaufte diverses Zubehör, das heute per Post ins Haus kommt. Da hatte man tatsächlich noch mehr Kontakt zum Mobilfunkanbieter. In diesem Umfeld ist mir eine Beziehung aufgefallen, zwischen einem Mitarbeiter bei One und einer Mitarbeiterin beim Saturn, der mittlerweile im Media Markt aufgegangen ist. Die zwei trafen sich immer auf Rauchpausen im Café neben dem One-Shop. Das ging jahrelang so, bis eines Tages der One-Shop weg war und der Typ auch. Das Mädchen war dann noch manchmal alleine rauchen, nicht mehr im Café, sondern vor dem Dacheingang des Shoppingcenters, wo bis heute ein großer, glosender Aschenbecher steht. Dann war das Mädchen auch dort nicht mehr zu sehen. Vielleicht hat sie auch nur zum Rauchen aufgehört.
Text: Martin G. Wanko