Hans Seitingers täglich Brot ist die Nachhaltigkeit. Von der Landwirtschaft, über die Müllvermeidung ist kein anderer steirischer Politiker stärker mit den Werten eines Landes konfrontiert, wie der Landesrat. Fazit: Ein lebenswertes, nachhaltiges und zugleich genussreiches Leben ist möglich.
Herr Landesrat, Sie kommen aus einer Bergbauernfamilie. Worin besteht der Unterschied zwischen dem damaligen Beruf des Bauers mit heute?
Seinerzeit waren die Agrarmärkte geregelt und heute haben wir einen radikalen, freien Wettbewerb. Früher war das Image eines Bauern gar nicht so gut, eher ein konservativ denkender Mensch, heute ist er ein moderner, im Image sehr gut gelegener Universal-Unternehmer. Einfach war der Beruf Bauer damals nicht und er ist es auch heute nicht.
Grundsätzlich: Wie geht es eigentlich „Ihren” Bauern? In den 50ern gab die Bevölkerung 50 % für Nahrung aus, heute sind es 12 %.
Wenn es 12 % wären, wäre ich schon froh. Es sind unter 10 %! Die Wertigkeit der Lebensmittel ist im Verhältnis zu anderen Produkten massiv verschoben worden und da brauchte es eine Korrektur. Wenn „das 3. Handy im Hosensack” einen höheren Stellenwert hat, als eine gesunde, regionale Ernährung, dann läuft etwas schief.
Resultat sind bratfertige Hendln unter 4 Euro das Kilo.
Früher hat man mit Waschmittelangeboten die Kunden in den Supermarkt gelockt, heute sind es Fleischprodukte. Das ist für mich grenzwertig! Die Billigprodukte sind die Basis für die Massenproduktion und die Massenproduktion wiederum ist die Basis für die Sauereien, die wir alle verurteilen, aber im Supermarkt dann dennoch anders leben.
Wie bringt man das der Bevölkerung bei?
Die Bewusstseinsbildung ist eine mindestens so harte Arbeit wie die am Feld und es ist eine tagtägliche. Wir müssen entsprechende Maßnahmen ganz früh setzen, nämlich im Kindergarten und in der Schule. Wir brauchen einen neuen Zugang: Gesunde, regionale Lebensmittel müssen für ein erfolgreiches Leben stehen.
Wie wird Ihrer Ansicht nach eine nachhaltige Restaurant-Speisekarte der Zukunft
ausschauen?
Vordergründig mit dem Genuss der Region: Zum Beispiel mit Spargel aus der Südsteiermark, Apfelsaft aus der Oststeiermark und einem guten Tröpferl von der Weinstraße. Der ideale Gast wird bereit sein, für ein gutes Essen mehr zu bezahlen, um mit der Ethik, die hinter der Lebensmittelproduktion steht, im Einklang zu sein.
Muss jetzt die Cohibar bei mir um die Ecke zusperren? Ein Mojito ist selten nachhaltig erzeugt.
Aber nein! Auch ich würde in einer Cocktailbar keine Sauermilch trinken. Man kann, wenn man so will, mit der Nachhaltigkeit eine Laus durchs Dorf treiben, aber es gibt wichtigere Dinge. Es ist alles eine Frage des Hausverstandes.
Ich war auf Vorträgen von NGOs, die meinten, es sei illusorisch die Weltbevölkerung
naturnahe zu ernähren.
Also, zum einen landen weltweit ⅓ der Lebensmittel im Müll – eine gigantische Menge, die für viele reichen würde. Ich halte es mit Mahatma Gandhi: Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.
Schon Insekten gegessen?
Ja, Heuschrecken in Berlin, auf der Green Week. Überschaubar gut!
Die Mülltrennung ist ein Schwerpunkt auf Ihrer Seite „Aktionsplattform Lebensmittel”. Wo müssen wir ansetzen?
Beim Einkaufszettel! Der sollte verhindern, dass zu viel gekauft wird. Dazu muss das Einkaufsbewusstsein aufs Ganze gerichtet sein. Fleisch aus Südamerika werden wir bei uns gewiss nicht brauchen.
Die Lust auf Bio steigt, (19/20 plus 17 %, 97 EUR f. Bio-Lebens-mittel, 1. HJ 2020), geht da noch was?
Wir müssen aufpassen: Die Produktionsmenge und der Markt sind kommunizierende Gefäße. Wenn 50 % Bio-Produkte im Regal angeboten werden, aber nur 20 % der Konsumenten bereit sind, Bio-Produkte zu kaufen, dann ist Bio tot. Daher müssen wir zuerst die Nachfrage nach biologischen Produkten steigern. Dann kann die Produktion mitwachsen. Der Weg darf nicht in die andere Richtung gehen!
8 kg Fisch isst der Österreicher jährlich, nur 7 % aus Österreich. Was können wir dagegen machen?
Wir haben herausragende Grundlagen um Fisch zu züchten! Aber die Teichwirte und
Fischer tun sich das nicht mehr an, solange der Fischotter ihre Teiche ausfischt. Ich will den Fischotter-Bestand auf keinen Fall ausrotten, aber, wenn man eine erfolgreiche Fischzucht will, muss man ihm Grenzen setzen dürfen.
Nachhaltigkeit: Die „Agenda 30” wurde als erstes Bundesland von Ihnen in die Verwaltung des Landes Steiermark verankert.
Prinzipiell kann man jeden Tag besser werden und es ist nicht verboten, ab morgen etwas gescheiter zu sein. Doch mit Zielen alleine kann man nichts erreichen, mit Taten muss man die Wende herbeiführen. Wir sollten uns hier auf unsere Stärken konzentrieren.
Ist die 1-Euro-Ananas böse?
Ob sie böse ist, weiß ich nicht. Ich hoffe sie ist süß. Fair gehandelt ist sie sicher nicht.
Dazu muss ich kein großer Agrarökonom sein.
Wie oft in der Woche essen Sie Fleisch?
Für gewöhnlich esse ich drei Mal in der Woche Fleisch.
Was ist wichtiger als Bio?
Zuallererst fragt sich der Konsument: Schmeckt’s mir oder nicht. Da fährt auch bei den Biobauern kein Zug vorbei.
Schon einmal einen Veggie Burger gegessen?
Natürlich. Aber wenn man zu viel Veggie Burger isst, fällt man vom Fleisch, deshalb halte ich mich hier zurück.
Herr Landesrat, 40plus dankt für das Gespräch!
Fragen & Interview: Martin G. Wanko
Fotocredit: steiermark.at/Streibl