Kunststoff wird oft mit den Epochen der Moderne und Postmoderne assoziiert, zeigt sich immer jung und vital. Kaum zu glauben, dass Kunststoff bereits 1907 erfunden wurde.
PVC gibt es seit 1912, heute verpönt, doch ein jeder Haushalt, der etwas auf sich hält, hat es im Dutzend zu Hause, die Schallplatte, Vinyl ist nichts anderes als PVC. PE, Polyethen, wurde bereits in den 1930er-Jahren erfunden, benötigt für Müllsäcke, Landwirtschaftsfolien, Gefrierbeutel und Joghurtbecher. In den 1950er-Jahren kam es zur großen Explosion, Unternehmen wie BIC machten Kunststoff zu Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Er wird auch als Held der Verpackung gefeiert, zur Schonung der Wälder. Dazu die Forschung und Medizin: 1969 wurde das erste Kunstherz in einem Menschen implantiert. Das war zugleich, als die Welt bunt werden durfte, der blaue Nivea-Wasserball zum Urlaub an der Adria gehörte, gleich die Barbie Puppe und Autositze mit überhitzten Plastiküberzügen, bei denen man schon präventiv Angstschweiß aufzog, bevor man Platz nahm. Aber dennoch, das Leben hatte alle Farben, die Nachkriegsgeneration gönnte sich ein Brathendl und einen bauchigen Chianti beim Autogrill auf der Autostrada, die Kinder eine Limo mit Röhrl im Becher und ein Überraschungsei mit einer Plastik-Überraschung und klebrigen Fingern.
Mit Arnie in die Plastikwelt.
Ein Teilchenbeschleuniger war die erste PET-Flasche, sie wurde 1973 von dem Chemiker Nathaniel Wyeth patentiert und nur 4 Jahre später konnte sie recycelt werden. Das wurde als großer Erfolg gesehen. Ende der 1980er-Jahre gab es dann die erste PET-Flasche für Erfrischungsgetränke mit Kohlensäure. Das war die Zeit mit Michael Jackson, Madonna, Pepsi-Werbung und 2 Liter PET-Flaschen. Dazu die Toy Story, Tool Time, Arnold Schwarzenegger, der einem Weihnachtsgeschenk nachjagt und danach ein McDonalds Besuch mit einer Junior-Tüte, die ein zum Film passendes Plastikgeschenk für die Kinder beinhaltete und einen irgendwie künstlich schmeckenden McShake gabs obendrauf. Danach hinaus in den kalten Winter und nach Hause. Bis jetzt klingt das absolut sauber und hygienisch. Viel von der Verpackung sah man nicht, den Rest warf man weg.
„Hau weg, den Dreck!“
Man muss schon sagen, vom Kunstherz bis zum Plastik-Nemo wurde alles mehr oder minder im Dienste der Menschheit erfunden. Im Grunde eine absolute Erfolgsstory, kein Stoff weist mehr Gebrauchseigenschaften auf als die unterschiedlichen Kunststoffe, wenn der Mensch nicht aufs Recyceln vergessen und stattdessen die Wegwerfgesellschaft erfunden hätte. Das kann man sich so bildhaft vorstellen: „Hau weg, den Dreck!“, sagt der Vater zum Kind, als das McDonalds Kinomanderl in der Kinderzimmerecke vergammelte. Vom Verzicht hat keiner mehr gesprochen, sich im Grunde von etwas zu trennen, was man nie gebraucht hätte, war schon Schwerstarbeit. Was damit einherging, war die Entfremdung von unserem Planeten. Und das Wegschauen. Das Wegschauen ist geblieben, das ist wie Urlaub auf der Domrep, wo man sich mit Cocktails die Welt schön trinkt, während Haiti im Chaos untergeht. Carlo Petrinis Slow Food Gesellschaft blieb ein Minderheitenprogramm.
Die Ärmel hochkrempeln!
2019 waren es mehr als 353 Mio. Tonnen Plastikabfälle, die produziert wurden. Ohne drastische Maßnahmen würde sich diese Menge bis 2060 auf rund eine Mrd. Tonnen jährlich verdreifachen, beruft sich die EASAC auf Daten der OECD. Dazu gibt es tolle Statistiken, welches Land nun schon wie viel recycelt, CO2 einspart und überhaupt. Diese ganzen Prognosen gelesen, müsste man meinen, der Plastikmüll wird immer weniger – dabei steigt er am Ende des Tages doch wieder an. Dazu liest man jeden Tag Absurdes: Ein sortierter Kunststoffmüll, exportiert in ein anderes Land, gilt als recycelt. Da wird nicht kontrolliert, ob er wirklich zur Recyclinganlage kommt oder nicht. Das kommt erst 2027, meint die Ministerin Leonore Gewessler.
Was ist zu tun: Der Verzicht ist nach wie vor das oberste Gebot. Grundsätzlich kommt es auf den richtigen Einsatz von Kunststoff an. Das ist wahrscheinlich das oberste Ziel. Wir müssen weiter Müll in die richtige Tonne geben, schon beim Einkauf achten und verzichten. Und wir brauchen Gesetze, für uns als Richtlinie und für arme Länder als Hilfestellung. Das Plastik-Abkommen, initiiert von der UNO, wird in rund einem Monat entschieden.
Text: Martin G. Wanko
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