Der möglichst natürliche lokale Wasserkreislauf, das lokale Halten und Versickern von Wasser und dadurch die Nutzbarmachung für Verdunstung durch Pflanzen, ist in erster Linie für eine Hitzereduktion der Städte wesentlich. Daniela Fuchs-Hanusch vom Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Landschaftswasserbau der TU Graz im Interview.
Ganz einfach einmal: Wie funktioniert der Wasserkreislauf? (Das haben wir einmal im Sachunterricht gelernt, funktioniert der noch immer so?)
Ja, genau, die Physik dahinter hat sich nicht geändert: Verdunstung und Transpiration, Wolkenbildung, Niederschlag, Versickerung und Abfluss. Es werden allerdings lokale Kreisläufe, insbesondere durch Versiegelung, massiv beeinflusst: Es gelangt viel mehr Wasser zum Abfluss (fließt also oberirdisch schnell ab, über Kanäle oder an der Oberfläche), gelangt in die Fließgewässer und dann oft raus aus der Region, es fehlt in manchen Bereichen Verdunstung, Wasserrückhalt, Transpiration durch Pflanzen und Versickerung und daher Grundwasserneubildung. Im Grundwasser fließt Wasser viel langsamer, wird gereinigt und tritt als Quelle zu Tage und wird zu Bach und Fluss.
Ich frag das jetzt einmal anders: Ob jetzt einmal viel, oder einmal weniger Wasser vom Himmel kommt – Wasser fließt ja trotzdem ab, das löst sich ja nicht in Luft auf. Kommt es vom Bach oder Fluss nicht zurück in den Wasserkreislauf?
Ja, es kommt von Bächen und Flüssen zurück in den Wasserkreislauf, d.h. global gesehen kann nichts verloren gehen, das stimmt. Aber regional findet durch zu raschen Abfluss zu wenig Versickerung und Verdunstung (= Kühlung) statt. Zusätzlich findet Verschmutzung statt, d.h. besonders qualitativ hat der rasche Abfluss von oft verschmutzten Oberflächen einen negativen Einfluss.
Was würde passieren, wenn unser städtischer Wasserkreislauf außer Takt gerät?
Er ist eigentlich schon außer Takt (denn er entspricht nicht mehr dem natürlichen lokalen Kreislauf) – durch Hitzeinseln kommt es auch zu vermehrter Gewitterbildung und Extremereignissen wie Starkregen und Hagel.
Die Bodenversiegelung hat eine Mitschuld am „nicht funktionierenden“ Wasserkreislauf. Sie sind Teil des „Urbanen-Hitzeinsel-Effekts“. Was ist das genau?
Urbane Hitzeinseln, also stärkere Hitze in der Stadt als am Land, entstehen, weil versiegelte und meist dunkle Flächen und Fassaden Wärme (von der Sonne) absorbieren und wieder abgeben. Auch parkende Autos geben noch in der Nacht viel Wärme ab. Wenn es wenig oder sogar gar keine Grün- und Wasserflächen gibt, fehlt die Transpiration, die für Kühlung sorgt.
Mit der Bodenversiegelung ist es jedoch wie mit vielen Dingen: Der aufgeklärte Mensch ist für die Reduktion, aber sein Haus will er trotzdem haben. Ist das Erbauen eines Einfamilienhauses aus heutiger Sicht „böse“?
Gemessen am Flächenverbrauch ist es tatsächlich sehr ungünstig, noch neue Einfamilienhäuser zu bauen. Man sollte versuchen, die Bedürfnisse danach zu verstehen, und im urbanen Bereich Wohnformen schaffen, die diesen Bedürfnissen in möglichst vielen Punkten nachkommen, mit Erholungs-, Freizeit und Grünflächen, Bademöglichkeiten, Privatsphäre. Die urbanen Räume müssen wohnlicher, gemütlicher und gesünder werden.
Die Stadt ohne Grünflächen ist natürlich so ein Problem, aber es gibt auch Theorien, die besagen, dass man die Natur außerhalb der Ballungsräume in Ruhe lassen und in der Stadt bauen soll. Vittorio Magnago Lampugnani*, Stadtwissenschaftler und Architekt, meint: „Die kompakte Stadt allein ist nachhaltig.“ Sehen Sie das differenziert?
Dem widerspreche auch ich nicht gänzlich, eine kompakte Stadt ist tatsächlich erstrebenswert, da wenig Fläche verbraucht wird. Aber vertikales Grün, intensive Gründächer, Wasserflächen und Erholungsräume sollten vorhanden oder zumindest gut erreichbar sein (Stichwort kurze Wege, nachhaltige Mobilität). Kompakter Ballungsraum ohne Grün widerspricht dem Bedürfnis der Menschen nach Naherholung – es macht keinen Sinn, eine Stunde mit den Öffis oder sogar mit dem Auto fahren zu müssen, wenn man Erholung in der Natur wünscht.
„Nirgends darf neu gebaut werden. Genauer: Gebaut werden darf grundsätzlich nur mehr dort, wo bereits gebaut wurde. Noch genauer: Es darf kein neues Bauland mehr ausgewiesen werden.“, so Lampugnani. Frau Fuchs-Hanusch, Sie haben Visionen, aber ist diese Forderung realistisch?
Ja, davon bin ich überzeugt! Viele Städte gehen hier bereits neue Wege, diese Lebenswerte zu gestalten, Bestand zu revitalisieren, Wasser und Grünräume zu schaffen. Bauen im Bestand muss weiter an Bedeutung gewinnen, Verdichtung als Grundsatz ist ein sehr guter Weg und es gibt wunderbare Lösungen.
Die urbanen Räume müssen wohnlicher, gemütlicher und gesünder werden
Daniela Fuchs-Hanusch vom Institut für Siedlungswasserwirtschaft und Landschaftswasserbau der TU Graz
In einem Interview sagen Sie, dass „Wasser in der Stadt zu halten und den urbanen Wasserkreislauf wieder naturnaher zu gestalten, entscheidend ist“. Ich kann mir das in Wohlfahrtsstaaten noch vorstellen. Wie machen wir das in Kairo, Delhi oder New York?
Überall, wo dicht verbauter Bestand vorhanden ist, ist das natürlich keine einfache Aufgabe. Gerade aber in den USA, in Städten wie Philadelphia, wird sehr viel in Grüne Infrastruktur investiert, auch zur Verbesserung der Gewässerqualität, etwa indem die Reinigungswirkung von Böden genutzt wird. Es werden auch Dächer begrünt, Fassadengrün eingesetzt, die Straßen sind oft sehr breit – daher können Teile davon für Grünflächen entsiegelt werden. Wachsende Megacities können dem chinesischen „Schwammstadt“-Beispiel folgen, d.h. wo versiegelt wird, unterirdische speicherfähige Böden einsetzen.
Sie schreiben unter anderem „[…] urbanes Grün ist enorm wichtig“. Klingt einleuchtend, Vittorio Magnago Lampugnani meint: Gärten seien keine Natur, durch Düngung und das Mähen von Rasen würden sie kaum etwas bringen für die Klimabilanz.
Ich spreche hier auch nicht von gedüngtem Rasen, sondern von Wiesen, Bäumen und Stauden als Beetbepflanzungen. Wien ist hier bereits viele Jahre sehr vorbildlich, was die Staudenbepflanzungen anbelangt: Sie ist sehr natürlich, aber auch robust, verändert sich mit den Jahreszeiten, es blüht immer etwas. Stadtwiesen können in Teilbereichen selten gemäht werden und dadurch zur Biodiversität beitragen, Gründächer benötigen ohnehin keine Pflege.
Warum tun wir uns in der Stadt mit Biotopen so schwer? Die Idee ist ja nicht gerade neu.
Ich denke: vor allem wegen des Platzbedarfs und der Sicherheit.
Ist leistbares Wohnen unter den Prämissen, „grün“ zu wohnen, realistisch?
Ja, das ist es – es gibt hier als Beispiel das Sonnwendviertel in Wien.
„Das Konzept einer Schwammstadt“, was darf ich darunter verstehen?
Man versteht darunter den Austausch von natürlichen Böden in einem Bebauungsgebiet durch stark porösen Boden. Er wird unter versiegelten bzw. bebauten Flächen eingebaut, das Regenwasser wird dort zugeführt, zwischengespeichert und langsam abgegeben – es sind riesige unterirdische Speicher, die Überflutungen vorbeugen sollen.
Gibt es eine funktionierende Schwammstadt?
In China gibt es einige, bei uns wird der Begriff gerne ebenfalls verwendet. Gemeint sind aber Blau-Grüne-Infrastrukturen, die der natürlichen Regenwasserbewirtschaftung dienen, wie Mulden, Rigolen, Baumpflanzungen mit speziellen Substraten. Auch diese funktionieren. Regelmäßige Wartungsmaßnahmen sind, wie auch bei grauen Infrastrukturen, Voraussetzung für die langfristige Funktionsfähigkeit.
Um Stadtquartiere nachhaltiger zu gestalten, schreiben Sie, muss Grauwasser miteinbezogen werden. Grauwasser bezeichnet fäkalienfreies, gering verschmutztes Abwasser aus Bädern, Duschen oder Waschmaschinen, das durch Aufbereitung einer Zweitnutzung als Brauch- bzw. Betriebswasser dienen kann. Für das berühmte Einfamilienhaus rentiert sich das (noch) nicht. Das wird wahrscheinlich für städtische Wohnquartiere oder Hotelanlagen gedacht sein, oder?
Ja, genau insbesondere für Neubaugebiete.
Ich kann mir diese Verwandlung nur als Keimzelle vorstellen, die langsam entwickelt werden muss, und vor allem bei Neubauten berücksichtigt werden müsste. Oder?
Ich gebe Ihnen recht, bei Neubauten ist es einfacher und sollte so rasch als möglich zur Selbstverständlichkeit werden. Allerding ist es ebenso wichtig, über solche Konzepte bei Bestandsgebäuden nachzudenken und Lösungen zu entwickeln, wie „umgerüstet“ werden kann, beispielsweise wenn ohnehin Sanierungen anstehen.
Bis ins 20. Jahrhundert wurde für die Ewigkeit gebaut. Heute existiert sehr oft die Wegwerf-Architektur. Wie kann man das Grundvertrauen der Menschen zurückgewinnen, die in der Befürchtung leben, dass die nachhaltige Quartiersentwicklung auch eine Blase ist? Philosophisch betrachtet, bekomme ich das Gefühl nicht los, dass, seit der Mensch denken kann, er immer den Problemen nachhinkt. Ist das so?
Ja, leider ist das so, es dauert auch extrem lange, bis neue Konzepte von den Universitäten in der Praxis ankommen.
Interview: Martin G. Wanko
Headerbild: Lunghammer -TU Graz