Man nimmt an, dass es irgendwann im 13. Jahrhundert gewesen sein muss, dass mehrere Kärntner Familien ihre Heimat verließen und an die Südseite der Alpen siedelten. Abgesehen von ihrer Sprache brachten sie auch die Technik des Räucherns mit. Dass beides die Jahrhunderte überlebt hat, liegt an der Abgeschiedenheit der auf 1.400 Höhenmeter gelegenen Ortschaft und Sprachinsel Sauris, zu Deutsch Zahre, die bis zum Bau einer Zufahrtsstraße Mitte des 20. Jahrhunderts nur äußerst mühsam und in den Wintermonaten oft gar nicht zu erreichen war.
Zwei Erzeuger haben hier überlebt, die den in ganz Italien begehrten Prosciutto di Sauris herstellen. Dieser ist eine Art Zwitterwesen zwischen Nord und Süd, wird er doch zuerst mit Pfeffer, Gewürzen und Meeressalz eingerieben und danach über echtem Holzfeuer geräuchert. Im Vergleich etwa zu Tiroler (und Südtiroler) Speck findet die Räucherung jedoch bei niedrigeren Temperaturen und über kürzere Zeit statt, was dem Fleisch eine angenehme, abgerundete Note verpasst, die Rauchtöne dabei aber elegant im Hintergrund hält. Ältere Bewohner von Sauris bestätigen allerdings, dass in Zeiten vor der Zufahrtstrasse, als Salz hier noch Mangelware war, der Schinken viel stärker geräuchert wurde.
San Daniele
Nur etwas mehr als eine Autostunde von Sauris entfernt in Richtung Süden, dort wo die Alpentäler auslaufen und die Poebene beginnt, liegt auf einem alleinstehenden Hügel San Daniele del Friuli. Zu Wohlstand und internationaler Bekanntheit brachte es die Ortschaft dank ihres weltberühmten Schinkens. Für dessen Erzeugung sind die Bedingungen hier, wo sich die trockene Luft aus den Alpen mit der salzig-feuchten von der Adria mischt, geradezu ideal. Allerdings ist die Produktion wegen der starken Nachfrage heutzutage weitgehend industrialisiert – und setzen inzwischen nahezu alle Erzeuger auf klimatisierte und computergesteuerte Kühlhallen. Eine der wenigen Ausnahmen ist das Prosciuttificio der Familie Bagatto, wo man sich noch auf die vielgerühmte Luft des Ortes verlässt, an der die Keulen bis zu 19 Monate lang reifen. Der Prosciutto ist zart und süß und zergeht auf der Zunge. „So soll es sein“, betont der Besitzer Dante Bagatto, „denn wenn man ihn kauen muss, ist es kein San Daniele.“ Rein äußerlich unterscheiden sich die Keulen von jenen gleichermaßen weltberühmten aus Parma dadurch, dass beim San Daniele der Huf am Bein dranbleibt. Erwähnenswert ist, dass sowohl bei Parma als auch San Daniele, ob nun industriell erzeugt oder nicht, nur Kochsalz zur Anwendung kommen darf – und nicht das gesundheitlich bedenklichere Pökelsalz.
Prosciutto di Cormons
Einer der angesehensten, seltensten und begehrtesten Schinken Italiens kommt aus dem friulanischen Cormons. Hier, in der Weinstadt am Fuße des Collio, nahe der slowenischen Grenze, erzeugt die Familie d’Osvaldo seit Generationen einen leicht geräucherten Schinken, dessen Fertigung ausschließlich im Winter, ohne künstliche Kühlung und durchwegs in Handarbeit abläuft. „Nein, natürlich gibt es auch in unserer Gegend keine Tradition des Räucherns“, bestätigt Monica d’Osvaldo, „mein Urgroßvater war Viehhändler, das führte ihn nach Österreich, wo er die Technik des Räucherns von Schweinefleisch kennenlernte und mit nach Hause brachte.“ Sowohl er als auch sein Sohn, der in Cormons eine Fleischerei betrieb, produzierten in Folge geräucherte Schinken in kleinen Mengen und wandten die importierte Methode an, um sie länger haltbar zu machen. Erst Monicas Vater konzentrierte sich einzig und allein auf das Schinkenhandwerk. „Er war es auch, der von der starken „österreichischen“ Räucherung abkam und als erstes damit begann, nur kurz und sehr sanft zu räuchern, nicht für die längere Haltbarkeit, sondern wegen des Geschmacks“, erzählt die Tochter. Inzwischen bieten die d’Osvaldos neben dem geräucherten auch einen luftgetrockneten Schinken an, doch Aushängeschild des Hauses bleibt der einzigartige milde und dennoch charakterstarke „Prosciutto di Cormons“, der ausschließlich über Kirsch und Lorbeerholz geräuchert wird und in den meisten Jahren schon vor Ende des Winters ausverkauft ist.
Text: Georges Desrues
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