Schnell geschossen! Was assoziieren Sie als Erstes mit der Verschwendung von Lebensmitteln?
Christoph Holzer:
Dass dieses Thema für uns als Händler sehr wichtig ist und wir alles daran setzen, Lebensmittelverschwendung möglichst gering zu halten, da es sich um wertvolle Ressourcen handelt. Wir als Spar setzen hier bereits vielfältige Maßnahmen.
Frank Dicker:
Es gilt zu verhindern, dass Food Waste entsteht.
Kurt Hohensinner:
Dass es leider passiert, wir aber auch Maßnahmen setzen, wo wir es können!
Julia Pengg:
Leider lastwagenweise Brot, das im Müll landet. Wer den österreichischen Dokumentarfilm »We feed the World« gesehen hat, dem haben sich diese Bilder wohl eingeprägt.
Einerseits sagt man, die Menschen verhungern, weil wir eine Überbevölkerung haben, andererseits sind wir »im Westen« die Wegwerfkaiser. Wie geht das zusammen?
Frank Dicker:
Das ist die klassische Verteilungsproblematik.
Kurt Hohensinner:
Jeder könnte seinen Teil dazu beitragen, dass nicht mehr so viel weggeworfen wird. Regionale Produkte einzukaufen ist ein Schritt, den jeder setzen kann. Oder darauf zu achten, dass neue Lebensmittel im Kühlschrank immer nach hinten sortiert werden.
Julia Pengg:
Naja, das prägt die globale Lage an sich – Verschwendung und über alle Massen leben in den Industrieländern und prekäre Lebenssituationen in Entwicklungsländern.
Es wird selten so schön die Schuld dem Anderen zugeschoben, wie bei der Verschwendung von Lebensmitteln. Die einen produzieren zu viel, die anderen kaufen zu viel, die dritten haben keinen Essensplan und die vierten können nicht ordnungsgemäß entsorgen. Wo muss man eingreifen?
Christoph Holzer:
Wir setzen durch vielfältige Maßnahmen bei dem Thema an. Diese sind unter anderem: Neben unseren optimierten Bestellsystemen, die immer mehr »dazulernen«, was konkret täglich in welchem Markt benötigt wird, haben wir noch zahlreiche andere Maßnahmen zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Jeder Spar-Standort hat eine Kooperation mit einem Sozialmarkt oder einer Tafel (Marienstüberl, Vinzi, Team Österreich Tafel des Roten Kreuzes…). Bei »Too Good To Go« sind wir seit Oktober 2021. Bei »Nicht schön genug« und trotzdem verwertet, bietet Spar auch Obst und Gemüse mit Makel an, es wurde dafür aber keine eigene Marke kreiert.
Frank Dicker:
An jeder Stellschraube ist hier zu drehen. Meine Branche lebt grundsätzlich davon. Wir könnten aber auch ganz gut leben, wenn es weniger Müll geben würde. Wir schauen, dass man noch etwas daraus macht, wie z. B. Bioabfall.
Kurt Hohensinner:
Das Mindset ist hier entscheidend. Es ist wichtig, dass man den nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln verinnerlicht und auch den Kindern beibringt. Wenn jeder versteht, warum ein nachhaltiger Lebensmittelkreislauf vernünftig ist, kann viel gelingen.
Julia Pengg:
Das Grundproblem ist die Entfernung des Endkonsumenten in der Großstadt vom Lebensmittelproduzenten – dem Bauern. Und die Marktmacht der großen Supermarkt-Ketten – die dann zu niedrigsten Preisen perfekteste Ware liefern, die in normierte Verpackungen passen muss. Fairerweise muss man sagen, dass heutige Ware auch oft viel länger haltbar ist als früher (wie Milch & Joghurt) – ob sie dadurch besser schmeckt, ist aber eine andere Frage.
Tatsache ist, wir werfen zu viel weg – gerade der Endkonsument. 520.000 Tonnen zu Hause im Jahr. Wie geht das?
Christoph Holzer:
Tatsache ist auch, dass bei Spar nur rund 1 % der angebotenen Lebensmittel nicht verkauft werden. Wir helfen auch den Haushalten bei der Vermeidung von Abfällen. Insbesondere auch durch unsere Feinkost-Bedienungstheken, wo man sich, wenn man möchte, auch beispielweise nur fünf Blätter Wurst runterschneiden lassen und so bedarfsgerecht einkaufen kann.
Frank Dicker:
520.000 Tonnen stören mich nicht, wenn gut getrennt wird. Alleine in der Steiermark sind 100.000 Tonnen Lebensmittel in den Abfällen, das stört mich dann schon sehr.
Kurt Hohensinner:
Das ist sicher auch eine Frage der Gewohnheit. Meine Kinder lernen bereits im Kindergarten, wie wichtig es ist, mit Lebensmitteln vernünftig und nachhaltig umzugehen.
Julia Pengg:
Grundursache ist dabei sicher eine permanente Verfügbarkeit von allem zu an sich zu niedrigen Preisen. Und wiederum die Entfernung vom Anbauen und dem Verständnis, wie lange etwas braucht, um zu wachsen. Dass Originalverpacktes weggeworfen wird, liegt scheinbar am Mangel einer Hausverstandseinschätzung über die Haltbarkeit von Ware, auch nach der MHD.
Hat sich das Restlessen überhaupt schon aufgehört?
Christoph Holzer:
Gerade beim Thema Restlkochen bieten wir mit unserer Spar Mahlzeit Rezeptwelt ein vielfältiges Angebot. Hier kann man auch einige Zutaten, die man zuhause hat, selbst anklicken und bekommt dazu dann passende Rezeptideen geliefert. Dies ist aus unserer Sicht ein guter Ansatz, um auch dem Thema vorzubeugen, dass zuhause dann Lebensmittel ablaufen und nicht verwendet werden.
Frank Dicker:
Nein. In Zeiten wie diesen, müsste es wieder auf der Tagesordnung sein. Beim Saubermacher haben wir sogar ein Kochbuch mit Restlessen herausgebracht, das es kostenlos zum Downloaden gibt.
Kurt Hohensinner:
Nein, das denke ich nicht. Nachhaltigkeit ist eines der wichtigsten Wörter im Lebensmittelkreislauf.
Julia Pengg:
Das scheint so zu sein! Wir sind ja erfreulicherweise von der Maxime »Was am Tisch steht, muss aufgegessen werden!«, weit weg. Aber es wäre schön, dass wir zu einem »Ich nehme mir bewusst nur so viel, wie ich brauche!« kommen. Das kann man am besten am Buffet im Mangolds üben.
Angebot und Nachfrage dominieren den Handel und schlussendlich kauft der Mensch gerne ein. Die NGOs kritisieren jedoch die Lockangebote. Ist das übertrieben?
Christoph Holzer:
Hier gilt es festzuhalten, dass der Wettbewerb im Lebensmittelhandel in Österreich sehr intensiv ist. Gerade in der jetzigen Zeit, wo das Haushaltsbudget knapper ist. Und die günstigeren Preise durch Aktionen kommen letztendlich den Kund*innen zugute.
Frank Dicker:
Das Einkaufen für Singles ist schon relativ schwierig. Wenn man dann etwas sparen will, sind Multipacks verlockend. Ob es dann wirklich so billig war, wenn ich etwas wegwerfe, bezweifle ich.
Kurt Hohensinner:
Jeder von uns sollte für sich selbst entscheiden können, wie er damit umgeht. Man darf aber eines nicht vergessen, der Handel schafft auch für tausende Menschen Arbeit. Es arbeiten über 550.000 Menschen in Österreich im Handel.
Julia Pengg:
Die Lockangebote allein sind nicht das Problem – das Grundproblem bei uns ist leider die Marktmacht des Handels. Ein kleiner Produzent kommt gar nicht in die großen Ketten hinein – weil er die Mengen vielleicht gar nicht hat, geschweige denn die Preise liefern kann. Damit geht aber Vielfalt verloren.
Wie oft landet die gesunde Jause von zu Hause im Müll, weil das Geschäft an der Ecke »etwas Aufregenderes« bietet?
Frank Dicker:
Unsere Müllanalysen zeigen, dass das durchaus der Fall ist: Schön eingepackte Jausen befinden sich im Restmüll.
Kurt Hohensinner:
Das kann natürlich passieren. Aber ich denke, wenn man den Kindern etwas Gutes, das sie gerne haben, mitgibt, kommt das nicht allzu oft vor. Die Grazer Bauernmärkte bieten eine große Auswahl an gesunden und regionalen Lebensmitteln an. Die »gesunde Jause« ist bei uns in der Familie nicht mehr wegzudenken.
Julia Pengg:
Essensvorlieben haben ganz viel mit einer ganz frühen Gewöhnung zu tun. Wenn Kinder gewohnt sind, zuerst Gemüse-Sticks vor dem Abendessen am Tisch zu bekommen, werden sie zugreifen. Wenn sie Chips bekommen, werden sie auch da zugreifen. Wenn das Gemüse oder Obst so reif und so köstlich wären, wie es die richtige Sorte zur richtigen Saison sein sollte, dann wäre jedes Kind begeistert!
Verschwendung von Lebensmitteln hat auch mit dem Anstieg der Müllberge zu tun. Laut dem Magazin »Die Zeit« verursachtejede Person in Deutschland 2020 im Durchschnitt 632 Kilogramm Müll. Das sind 67 Kilogramm mehr als 2005. Nun dazu meine Frage: Verursacht der Wohlstand mehr Müll?
Frank Dicker:
Es kann nicht anders sein.
Kurt Hohensinner:
Der falsche Umgang mit Verpackungsmaterialien und die falsche Entsorgung verursachen mehr Müll. Dadurch entstehen im Nachhaltigkeitskreislauf Lücken. In unseren Meeren zum Beispiel steigt der Anteil von Plastikmüll. Das ist nicht hinnehmbar und verursacht große ökologische Schäden.
Julia Pengg:
Natürlich! Im Supermarkt ist alles verpackt – sogar Tomaten, Gurken, Salat, einfach alles! Von Convenience Food ganz zu schweigen. Wenn ich am Markt einkaufe, muss ich nur frischen Fisch in Plastik nehmen. Und das Joghurt im Glas, das ich zurück bringe.
Ein Blick in die Mülltonnen zeigt, dass ganze Hendl im Müll landen – es gibt Ursachen: Ein hungriger Magen kauft zu gerne ein. Der Einkaufszettel hilft zu koordinieren. »Plötzlicher« Zeitmangel, das Geplante zu kochen. Fehlende Kochideen. Falsche Lagerung. Schlussendlich auch die Gier des Konsumenten – wo liegt nun der Hund begraben?
Frank Dicker:
Alles ist möglich. Wir müssen hier ein neues Bewusstsein schaffen. Im Grunde ist es nicht nur ein Problem der Abfallwirtschaft, sondern auch ein gesellschaftspolitisches und sozialpolitisches.
Kurt Hohensinner:
Mir persönlich hilft die klassische Einkaufsliste. Oder auch eine App. Wenn ich etwas einkaufe, streiche ich es von der virtuellen Einkaufsliste. Meine Frau sieht, was ich bereits gekauft habe. So vermeiden wir, dass Produkte doppelt eingekauft werden. Smarte Lösungen und der bewusste Umgang damit helfen uns in der Familie, dass weniger weggeschmissen wird.
Manchmal glaube ich, dass gut gebriefte Schulkinder den Eltern die »neue Wirklichkeit« am ehesten beibringen können. (»Iss nicht so viel Fleisch, trenne den Müll, kauf nicht zu viel ein …«)
Frank Dicker:
Stimme ich 100 % zu. In den 80er- und 90er-Jahren haben die Kinder den Eltern das Mülltrennen beigebracht, weil sie geschult worden sind. Witzigerweise sind die damaligen Schüler, die ihre Eltern erzogen haben, heute die, die hier auslassen.
Kurt Hohensinner:
Ja, unsere Kinder lernen tatsächlich ab dem Kindergarten den bewussten und nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln und auch die Wichtigkeit der Mülltrennung. Als zuständiger Bildungsstadtrat ist mir dieser Wissenstransfer sehr wichtig!
Julia Pengg:
Ja, bei der Erziehung der Kinder kann ganz viel bewegt werden. Wir (Generation 40+) haben Mülltrennung doch auch in der Schule gelernt und nicht von den Eltern. Daher würde ich auch sehr dafür plädieren, dass Kinder statt eines Skikurses lieber eine Woche auf einem Bauernhof oder einer Landwirtschaft verbringen!
Die Fehlinterpretationen zwischen Mindesthaltbarkeitsdatum und Verfallsdatum wird gerne gemacht. Wäre ein einheitliches Datum sinnvoll?
Christoph Holzer:
Ein einheitliches Datum ist nicht sinnvoll. Das »zu verbrauchen bis« Datum, welches beispielsweise bei Geflügel oder verpacktem Fleisch zu finden ist, gibt ja vor, bis wann man das Produkt verbrauchen muss. Ein Verzehr über dieses Datum hinaus kann zu Gesundheitsgefahr durch Keime führen. Ganz im Gegenteil dazu sagt das »Mindesthaltbarkeitsdatum« aus, dass das Produkt bis mindestens zu diesem Zeitpunkt hält.
Frank Dicker:
Ja. Im Englischen heißt es »best before«, das drückt es meines Erachtens nach besser aus. Das Verfallsdatum selbst fehlt bei der Mindesthaltbarkeit ganz einfach. Schokolade hält jahrelang über dem Mindesthaltbarkeitsdatum, wird außen vielleicht grau. »Best before« gefällt mir hier besser, sollte man sich bei uns etwas Ähnliches überlegen.
Kurt Hohensinner:
Hygiene und Gesundheit sollten immer im Vordergrund stehen. Eine etwaige Vereinheitlichung müsste man daher auch mit der Bundesgesetzgebung diskutieren.
Julia Pengg:
Jein. Die Sicherheitsvorgaben gerade in der Lebensmittelproduktion sind natürlich extrem hoch geschraubt – aber das ist ja auch gut so. Man darf nicht vergessen, es sterben laut WHO in Europa rund 5.000 Menschen im Jahr an einer Lebensmittelvergiftung, vor allem an Salmonellen. Und das war früher natürlich noch viel höher. Aber auch da wiederum, kann bei Kindern der Umgang mit Lebensmitteln gelehrt werden.
Wo kann die Politik etwas tun?
Christoph Holzer:
In Österreich sind die Lebensmittelhändler an sich schon sehr aktiv. Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung, die in Frankreich gesetzlich vorgeschrieben werden mussten, sind bei Spar schon gelebte Realität. Es macht hier wenig Sinn, dass es hier gesetzliche Vorgaben gibt, da die Händler in der Eigenverantwortung in Österreich sehr aktiv sind.
Frank Dicker:
Wie gesagt, es ist Bewusstseinsbildung. Eine einheitliche Verpackungsordnung wird schlussendlich etwas bringen. Einer, der in Wien arbeitet, in Niederösterreich wohnt und im Burgenland urlaubt, hat drei verschiedene Interpretationen der Verpackungssammlung gehabt. All das macht die Kommunikation schwierig. Manche verstehen dann nichts mehr, jetzt auch nicht unverständlich.
Kurt Hohensinner:
Ich habe erst im letzten Jahr eine Umfrage zum Thema »Mittagsessen« in Grazer VS und MS gestartet, damit wir von den Kindern erfahren, wo wir als Stadt Dinge verbessern können. Daraus entstand zum Beispiel ein neuer Info-Folder für Eltern, um Eltern besser über die Wege Nahrungsmittel von der »Küche Graz« bis hin zum Mittagstisch zu informieren.
Julia Pengg:
Das Thema Ernährung, aber auch Lebensmittelproduktion in den Schulen verankern. Die Marktmacht der Handelsketten brechen – das wäre dringend und wichtig. Kleine Versorgungsstrukturen stärken. Und wenn es nur aus Selbstschutz vor Krisen ist.
Wo beginnt die Sucht?
Frank Dicker:
Wenn es auf die Kaufsucht bezogen wird, diese Sucht wird einem schon auf einem Tablett serviert.
Kurt Hohensinner:
Sucht ist leider oft das zwanghafte Verlangen nach einer Sache oder Substanz, wobei einhergehend ein Kontrollverlust entsteht und dadurch das eigentliche gesellschaftliche Leben nicht mehr stattfinden kann.
Julia Pengg:
Dort, wo man nicht kontrolliert aufhören kann – Handy, Alkohol, ja, Einkaufen auch – aber das würde ich persönlich jetzt nicht auf Lebensmittel beziehen.
Können Verzicht und Demut gelernt werden?
Frank Dicker:
Herr Messner schreibt zurzeit über Verzicht und Demut. Es braucht nicht einmal Demut, sondern einen gesunden Menschenverstand. Und wenn’s dann doch passiert, sollte man wenigstens den Müll korrekt trennen.
Kurt Hohensinner:
Demut und Verzicht sind eine Form der Genügsamkeit und Dankbarkeit. Das sind Werte, die jedenfalls gelernt werden können, wenn man sie selbst lebt und von Anfang an in die Erziehung einfließen lässt.
Julia Pengg:
Der erste Schritt in die Richtung wäre vielleicht Achtsamkeit – die kann man lernen, hilft einem in ganz vielen Bereichen und führt dann oft noch viel weiter.
Moderation: Martin G. Wanko