„Zwei zum Preis von einem“, das klingt beim Weinkauf eher zweifelhaft. Einen Wein kaufen, zwei verschiedene Weine bekommen – das ist im Falle von vielen ungefilterten Tropfen aber eine höchst willkommene Tatsache.
Solche Weine haben zwei Gesichter, und man kann beim Genuss selbst entscheiden, in welches man lieber blickt: Weine, die mitsamt der Hefe in die Flasche abgefüllt werden, können sich nämlich dank des Feintrubs, winzigen Hefepartikeln, zart verschleiert und „milchig“ präsentieren. Manchmal präsentieren sie sich aber auch transparent. Der Schlüsselfaktor: die Bewegung der Flasche. Je nachdem, ob wir diese vorsichtig bewegen, die Feinhefen gleichsam wachrütteln und zum Schweben bringen, oder diese auf dem Flaschenboden belassen, erscheint ein solcher Wein trüb oder klar. Eine Mikro-Bâtonnage, wenn man so will (als Bâtonnage bezeichnet man das Aufrühren der Hefe im Fass oder Tank).
Ungefilterte Weine sind eine Spielart, auf die man sich einlassen muss. Für manche bilden glasklare Weine noch immer den Maßstab, feine Trübstoffe gelten in ihren Augen als fehlerhaft. Davon, dass auch Kenner dies lange Zeit so gesehen haben, kann man auf der Fattoria La Vialla ein Lied singen: Als das toskanische Landgut nahe Arezzo seinen Vorreiter „Barricato Bianco non filtratro“ für internationale Weinauszeichnungen einreichte, attestierte man diesem noch allerlei Defekte. Drei Jahre später, 2016, wurde dem Barricato Bianco beim „Decanter World Wine Award“ die Platinmedaille als „Best White Wine Tuscany“ verliehen, als erstem Weißwein überhaupt! Die angebliche Promenadenmischung wurde zum Rassewesen erklärt – ein Paradigmenwechsel.
Mittlerweile sind ungefilterte und teilweise richtig trübe (wenn viel Hefe mit abgefüllt wurde) Weißweine Standard; bei Rotweinen ist man es schon länger gewohnt, legendäre Bordeaux wie der Château Margaux werden seit jeher ungefiltert abgefüllt. Für die Fattoria La Vialla, die immer nach biologischen Grundsätzen gearbeitet hat, 1983 biozertifiziert wurde und seit 2005 auch das Demeter-Siegel trägt, gilt schon lange: Je weniger gefiltert, desto besser. Chefönologe Marco Cervellera möchte der Natur so wenig wie möglich ins Handwerk pfuschen. Zehn Weine der Fattoria La Vialla sind zur Gänze „non filtrato“, vom aktuellen Pinot nero Casa Rossa 2015 bis zum knochentrockenen, samtigen Sprudel Lo Chiffón „Metodo Ancestrale integrale“ 2020. Man könnte nun glauben, dass ungefilterter Wein weniger Arbeit bedeute und daher auch zu einem niedrigeren Preis erhältlich sein müsse. Das Gegenteil ist der Fall! Mikrobiologisch gilt es mehr zu überwachen, um das Gleichgewicht der lebendigen Inhaltsstoffe zu wahren. Cervellera verkostet während der Gärung fast täglich die Feinhefen, damit er die Entwicklung der einzelnen Fässer im Auge behalten kann. In die Flaschen kommen nur die allerbesten Hefen. Die ungefilterten Weine von La Vialla haben dank der von den Hefen natürlich entwickelten Sulfite einen extrem geringen Anteil an zugefügtem Schwefeldioxid, was sie ausgesprochen gut verträglich macht. Sensorisch geben sie sich als besonders schmeichelhaft am Gaumen. Und ihre Cremigkeit, dieses ganz spezielle Mundgefühl, können wir von Glas zu Glas selbst steuern. Indem wir die wertvollen Feinhefen aufwecken oder sie schlafen lassen …
Fattoria La Vialla
Via di Meliciano 26,
52029 Castiglion Fibocchi
www.lavialla.com
Text: Agnes Schwarz
Fotocredit: Fattoria La Vialla