Anleitung zum (Un)glücklichsein – wie vergeige ich Weihnachten!

Eine satirische Betrachtung.

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und das ist prinzipiell gut so. Manchmal wissen wir nicht, wohin wir gerade fahren, aber Hauptsache wir fahren mit Vollgas, wenn auch in die falsche Richtung. Stillstand wäre der Tod, dass ein gewisses Verweilen eine Zeit zum Nachdenken mit sich bringt, wird ignoriert. Gerade Weihnachten zahlt sich aus, um es allen nochmals so richtig zu zeigen!

Color-Blocking beim Kranz

Am besten fängt man mit der Entgleisung gleich Ende November an. Wenn Sie in einer Partnerschaft sind, zeigen Sie, wer den Ton angibt. Das merkt sich der Partner dann sehr lange, also erspart man sich für die nächste Zeit die Diskussionen. Über die vorweihnachtliche Deko kann ausgezeichnet gestritten werden. Der Adventskranz ist der Angelpunkt schlechthin, bezüglich der Farbe der Kerzen und der Verzierungen können schon einmal die Wogen hochgehen. Für ausgefallene Farben ist Color-Blocking ein gutes Argument, jetzt gerade in, das zahlt sich aus! Am besten zaubert man den Adventskranz gleich auf den Tisch. So erübrigt sich jede weitere Diskussion. Falls es doch noch Einwände gibt, kann man den Partner als gewissenlos hinstellen, der gegen jede Nachhaltigkeit lebt. Der Kranz ist nunmal gekauft!

Die Stornierung des Fitnessstudios

Gut ist natürlich, wenn man grundsätzlich zur Form aufläuft: Viel zu spät von der Firmenfeier zu kommen und sich nicht zu melden, weil man unterwegs irgendwo sein Handy angebaut hat, sorgt für ein Stimmungshoch. Apropos Handy: Stundenlange, belanglose Wochenendtelefonate im Beisein des Partners zahlen sich immer aus. Wenn man vor hat, mit schlechten Gewohnheiten wieder durchzustarten, ist die Weihnachtszeit auch sehr passend, weil schlechte Gewohnheiten bekanntlich für Stressabbau sorgen. Also her mit den Zigaretten, der Weihnachtsbäckerei, Glühwein, Bier und Härterem. Dazu stornieren Sie im Beisein Ihres Partners das Abo im Fitnessstudio, stecken Ihre Gymnastikschuhe in den Müll und bestellen Ihre neue Weihnachtsrobe eine Nummer größer. Und nicht vergessen, auch hier Color-Blocking! Um Ihre Führungsqualitäten zu untermauern, bedarf es auch hier keiner Diskussionen. Endlich wer, der weiß, wo es langgeht! Ihr Sakko mit dem neonfarbenen Weihnachtsmann wird richtig gut ankommen.

In dieser Stimmung lässt sich’s auch gut fortfahren. Die ewig gleichen Traditionen interessieren Sie nicht mehr. Seien Sie am Spaziergang durch den Advent genervt und am Punschstand gelangweilt, das macht sich auch in einer Runde gut und Sie interessant! Schauen Sie öfter auf Ihre neue sündteure Uhr, machen Sie ungefragt ein paar Abstecher und kommen dann angeheitert zurück. Beim Wichteln haben Sie Ihre Geschenke zu Hause vergessen, aber im Jänner wird auch noch reichlich Zeit dafür sein, antworten Sie. Wenn dies die Runde macht, haben Sie in Zukunft in der Weihnachtszeit mehr Zeit für sich selbst als Ihnen heute lieb ist. Gratulation!

Schwan, Springbock oder Antilope?

Hat Sie Ihr Partner noch nicht verlassen, manche sind bekanntlich hartnäckig, planen Sie das Weihnachtsdinner. Am besten rigoros und unvernünftig. Das ist am Schönsten, wenn Gäste eingeladen sind. Das Festmahl kann aus einer Bohne und einer Essiggurke bestehen, stellen Sie sich einmal die staunenden Gesichter vor und dazu die knurrenden Mägen. Die zweite Variante, auch sehr reizvoll, ist ein Festmahl aus einem Schwan, Antilope oder Springbock. Die Diskussionen über die Zubereitung sind immer gut, vor allem, wenn Sie ansonsten nicht in der Küche stehen, wäre es zu Weihnachten schön, wenn Sie das Zepter übernehmen. So geht sehr glaubwürdig alles schief, was schief gehen kann – alleine die Ankündigung der drohenden Küchenübernahme dürfte reichen. Übrigens, längeres, ignorantes Holzhacken am 24. Dezember zahlt sich auch aus, ähnlich wie den Herd durch langwieriges reinigen des Ofens zu blockieren. Dazu geben Sie dem Partner, der für die Einkäufe zuständig ist, noch ein paar schwierige Aufgaben mit, ein Buch, das es nicht mehr gibt, ein schwer zu bekommendes Gewürz. Da bleiben tatsächlich die Köpfe kühl, denn die Sicherungen sind schon gegangen.

Schneebirne, Flaumeiche oder Blasenstrauch?

Unter normalen Umständen sind Sie jetzt bereits Single, oder Ihr Partner ist zumindest in den Urlaub gefahren und hat zur allgemeinen Sicherheit die Wohnung verriegelt. Vielleicht sitzt er bereits beim Scheidungsanwalt oder holt gerade zum Gegenschlag aus. Wie dem auch sei, unter normalen Umständen wäre nun die Baumfrage zu diskutieren. Baum oder nicht Baum, das ist hier die Frage! Für mehr Diskussionen sorgt natürlich ein Baum. Auch hier gilt es ausgefallen zu bleiben, ein seltener Baum ist immer ein Zeichen. Schneebirne, Flaumeiche, Blasenstrauch zum Beispiel, oder doch die ordinäre Zirbe? Alle stehen auf der „Roten Liste“. Das betont auf alle Fälle den solitären Wert Ihres Weihnachtsbaums. Mit einer spürbaren Reaktion in den sozialen Medien können Sie sicher rechnen.

Die anständige Zigarre?

Mit dem seltenen Baum und dem exotischen Essen – das kann im Zweifelsfalle auch auswärts zubereitet werden, sodass die Köche dann mit dem zubereiteten Schwan am Tablett antraben, macht sich das sehr schick, wenn man mehrere Gäste eingeladen hat – hat man natürlich gleich die Diskussion mit der Nachhaltigkeit am Tisch, die man sogleich als lächerlich abtut. Hat doch eh alles keinen Sinn! Abgesehen davon wurde das Tier auf legalem Weg gekauft. Dafür trachten Sie danach, politische Reizthemen, die nicht so schnell gelöst werden können, ins Gespräch zu mischen. Feiern Sie zu zweit, sind private Reizthemen vorzuziehen. Dazu nehmen Sie etwas mehr Alkohol zu sich, als gewohnt, sollten Sie wieder rauchen, eine Montecristo zwischendurch wird wohl niemand vertreiben. Übertriebenes Schocklüften auch nicht.

Spätestens jetzt haben Sie das Ziel erreicht und Ihre Gäste werden einer nach dem anderen verschwinden: Eine plötzliche Familienangelegenheit, eine Freundin, die alleine ist, gerade am 24. oder ein plötzliches Unwohlsein werden die Ursachen sein.

Stille. So still war es zu Weihnachten selten. In so einer Stille kann man den Dingen wirklich nahe sein. Gratulation! Das Gefühl für wahre Werte stellt sich langsam ein. Wir gratulieren Ihnen auf alle Fälle! Nun haben Sie absolut stresslose Weihnachten erreicht und ein Jahr Zeit, alles wieder einzurenken.

Text: Martin G. Wanko

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