Wie überall auf der Welt kochen die Menschen vom Handy weg oder stehen mit ihren Tablets in der Küche. Für Foodblogger selbst bleibt das Buch jedoch ein haptisches Erlebnis und eine Art Krönung.
Der Reiz ist klar und im Grunde ganz einfach definiert: Ich erfinde mich selbst neu, indem ich der Menschheit etwas vorkoche, das filme, ein bisschen zusammenschneide und ins Netz stelle. Dann ist im Grunde schon alles passiert und zugleich gar nix, weil mich im Netz noch niemand sieht. Gerhard Dragschitz, besser bekannt unter seiner Marke MotionCooking, ist mit einer guten sechsstelligen Follower-Zahl einer der Stars der Szene, aber auch er hat bei Null angefangen. Begonnen hat er aus einer Laune heraus: „Ich wollte nie Koch werden, habe aber immer schon gerne privat gekocht.“ Zu Beginn hat er seine Rezepte auf einen Blog gestellt, aber auf einem Blog alleine war nie wirklich was los. „Dann habe ich Facebook für meine Zwecke entdeckt. Am Anfang waren es Familie und Freunde und dann wird es plötzlich mehr.“
Food-Blogger als Dimension der Unendlichkeit
Natürlich ist Dragschitz ein Künstler am Herd, der seine Kreationen online abspielt und so zu einer Instanz heranwächst, ohne jetzt abgehoben zu wirken. Da kann beim Beef Tatar schon einmal der Senf als Zutat fehlen, der mit einem kleinen Schmäh im Clip gerade noch hinzugemischt wird. Dazu ein ostösterreichischer Dialekt, der mit Untertiteln übersetzt wird, es menschelt und die Reaktionen geben ihm recht: „Ich schreibe Rezepte, koche sie, veröffentliche sie, und die werden dann von Gleichgesinnten abgefeiert. Dazu komme ich gerne herum, bin gesellig und lerne Leute kennen. Man hat das Gefühl, dass man das unendlich spielen kann. Dafür arbeitet man auch rund um die Uhr und muss sich immer wieder neu erfinden.“

Ich schreibe Rezepte, koche sie, veröffentliche sie, und die werden dann von Gleichgesinnten abgefeiert.
Des Bloggers Freiheit
Die Mutter der österreichischen Foodblogger-Szene, Alexandra Palla, schuf 2012 den Austrian Food Blog Award, eine jährliche Veranstaltung, ein Tummelplatz für Interessierte und Influencer, wo Foodblogger ihr Bestes geben. „Der Reiz liegt in einer Kombination aus kreativer Entfaltung, persönlicher Leidenschaft und der Möglichkeit, mit einer breiten Community in Verbindung zu treten“, so Alexandra Palla. Ein Geheimnis, warum talentierte Köche Foodblogger werden, ist, dass sie Freiheiten genießen, die in einem konventionellen Job nicht möglich wären. Die Art der Gerichte, die sie zubereiten, bleibt ihnen überlassen, es gibt sozusagen keinen Chefkoch oder Restaurantleiter, der unter finanziellen Prämissen seine Speisekarte entwirft oder eigene Ideen unterbringen will. Es muss auch an keiner Kasse klingeln, zumindest nicht im Hobbybereich: „Am Ende ist Essen ein genussvolles Thema, das Menschen zusammenbringt. Die Freude, ein gelungenes Gericht zu präsentieren oder positive Rückmeldungen zu erhalten, ist für viele ein zentraler Antrieb und schlussendlich, sich vom AFBA auszeichnen zu lassen!“, analysiert die Organisatorin.
Sepp, was machst du?
Weil gerade angesprochen, der Restaurant-Koch und der Foodblogger leben in verschiedenen Welten, davon ausgenommen ist Neos-Part-Time-Politiker Sepp Schellhorn, der jetzt klassisch seine Wirtshausgerichte kocht und mit dem eindringlichen Slogan: „Sepp, was machst du!“ ins Netz stellt. Für ihn sei es auch die letzte Chance, ein junges Personal zu kriegen, polterte er auch einmal in einem Interview. So ganz nebenbei gibt der Unternehmer auch immer der österreichischen Bürokratie und dem Vorschriften-Dschungel eine mit, sinnbildlich mit einem ewig kreisenden Damoklesschwert über der Küche: Da geht es um sinnlose Fliegengitter oder über die viel zu hohen Steuern und auch warum ein Krügerl Bier im Gasthaus einmal mehr kostet als im Handel. Wie will man unter diesen Bedingungen heute noch ein Wirtshaus führen? Gerhard Dragschitz alias MotionCooking hat einen anderen Zugang: „Ich bin jetzt kein gelernter Koch, ich setze für mich zu Hause kreative Ideen um, mache die Leute mit verschiedenen Lebensmittel vertraut und zeige auch gerne, wie leicht man Gutes kochen kann. Aber ich will die Leute auch animieren, in ein Lokal zu gehen, weil ich es auch liebe essen zu gehen!“
Vorne locker, hinten Action
Anfang der 2000er-Jahre war der Food-Blog überwiegend weiblich, meint Alexandra Palla: „Ein Impulsgeber war der Film ‚Julie und Julia‘, als das Internet zunehmend interaktiv wurde und Plattformen wie Blogger und WordPress es einfacher machten, eigene Inhalte zu veröffentlichen.“ Man sieht das auch heute noch, denn die Kreativität gemischt mit dem Hang zum Kochen und einer willkommenen Online-Aufmerksamkeit ist gerade für Mütter mit einer jungen Familie eine feine Aufgabe, da man in dieser Zeit sehr motiviert ist, neue Schritte zu setzen, zum Beispiel vegetarisch oder low-carb zu kochen. Wird Food-Bloggen jedoch professionell als Job betrieben, geht das nur sehr schwer zwischen Tür und Angel, denn je lockerer und eleganter der Beitrag über die Bildschirme läuft, desto mehr Arbeit steckt dahinter: „Organisation, Kundenkontakt, Akquise, Buchhaltung, Einkaufswege, Shootings, Videoschnitt, Texte so schreiben, dass sie auf Google gefunden werden. Ein großes Konstrukt und alles, was man sich dazudenkt, macht auch mehr Aufwand, also muss es dir 100 % taugen! Dann kann man mit Produktplatzierungen auch noch Geld verdienen.“
Kein Stress kochen (kSk)
Heute ist Food-Bloggen auch ein Geschäftsmodell: „Die Monetarisierung erfolgt durch bezahlte Partnerschaften und Produktplacements. Affiliate Link Business ist im Food Bereich, wegen geringer Margen, eher zu vernachlässigen“, so Alexandra Palla. Jeder Blogger geht hier anders ran und nicht alles ist wirklich geschmeidig. Machen wir eine Probe aufs Exempel: Hier wird dem Zuseher ein markentechnisch gut sichtbarer, fertiger Supermarkt-Hefeteig vor den Latz geknallt und daraus ein Pizzazopf geflochten. Es überfällt einen das Feeling, hier in einem Kochkurs für Uni-Erstsemestler gelandet zu sein. Das ist einfach nicht sexy. Schwierig ist auch, ein und dieselbe Pasta immer wieder zu sehen. Hier muss dann schon ein Star hinter dem Herd stehen, damit das funktioniert. Wolfgang Bauer hat einmal live Reisfleisch gekocht, er meinte, das Beste sei das Bier danach gewesen.
Aber natürlich geht es auch anders. Das wieder auferstandene kSk („kein Stress kochen“) zaubert einen wunderbaren, knusprigen Schweinsbraten vor die Kamera, dass einem das Wasser im Mund zusammenrinnt, oder der ‘87, der mit peppigen Pasta-Gerichten im sechsstelligen Bereich liegt, oder Renate Kaufmann, die rüstige Rentnerin mit ihrem „Fragdieoma“-Blog. Es wird aber zunehmend schwieriger, die nötige Bekanntheit zu erlangen. „Man muss sich ein Nischen Thema/Motiv aussuchen, das es noch nicht gibt und drauf bleiben. Sich auf jeden Fall abheben. ‚Nur‘ Familien-Küche, Kuchen backen oder 10-Minuten-Küche ist zu wenig, um heute Bekanntheit und Reichweite aufzubauen“, so Palla. Trends sind immer gefragt: „Wie zum Beispiel Zero Waste, Künstliche Intelligenz und Automatisierung oder Erlebnisorientierte Inhalte“, so Palla. Gerhard Dragschitz springt jetzt selten auf einen fahrenden Zug, bei einem ist er sich aber sicher: „Herkunft, Nachhaltigkeit, Fleisch aus der Region, vegetarisch und vegan wird sicher ein langlebiger Trend bleiben“, so der Wahlgrazer.

‚Nur‘ Familien-Küche, Kuchen backen oder 10-Minuten-Küche ist zu wenig, um heute Bekanntheit und Reichweite aufzubauen.
Das Kochbuch, ein Fels in der Brandung
Starkoch und Blogger Stevan Paul findet es in einem Börsenblatt-Interview fast schon beklemmend, dass Verlage schon einmal die Anzahl der Follower wissen wollen, bevor sie überlegen, mit jemandem ein Kochbuch zu machen. So hat dadurch schon jedes Sternchen ihr Kochbuch, gegen alle Unkenrufe gehen die Verkaufszahlen für Kochbücher die letzten 25 Jahre nach oben. Ist schlussendlich doch ein Kochbuch die Krönung der Kochkunst? „Das ist Geschmacks- und Ansichtssache“, so Gerhard Dragschitz, der vor einiger Zeit sein Kochbuch „Mehr is mehr“ auf den Markt gebracht hat. „Ich bin seit jeher ein Kochbuch-Fan. Ich hab’s dann mit einer Freundin zusammen gemacht. Es ist ein Gegenstück zu meinem Blog, weil es nur einen Auszug aller Rezepte enthält. Dafür Rezepte aus aller Welt. Ich reise gerne und habe gerne mit Menschen zu tun.“
Text: Martin G. Wanko