Das interdisziplinäre Schlafmedizinische Zentrum am LKH Graz II, Standort Süd gilt seit Juni 2020 als Ärztekammer-zertifiziertes Ausbildungszentrum für die Spezialisierung zum Thema Schlafmedizin. Schlaf-losigkeit wird zu einer Art Volkskrankheit, Priv.-Doz. Dr. Michael Saletu über Ursachen und Lösungen.
»Entspannung« ist das Kernthema dieses 40plus-Heftes. Schlaf ist die schnellstmögliche Entspannung von Körper und Geist, oder?
Ein gesunder und erholsamer Schlaf ist eine biologische Notwendigkeit für unser Wohlbefinden, unsere Leistungsfähigkeit und unsere Gesundheit.
Eine Realität ist auch, dass immer mehr Personen in den USA 1,5 Jobs brauchen, um gut über die Runden zu kommen – ist jetzt auch gerade nicht schlaffördernd, oder?
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die uns viel abverlangt und in Zeiten der Teuerung – beides Stressoren – den sogenannten »Hyperarousal«, also die »emotionelle Übererregung«, nach oben bringt und den Schlaf stört.
Ist Durchschlafen ein Irrtum? Wir wachen laut Forschung über 20 Mal pro Nacht auf.
Ja, das ist korrekt. Nur vergessen wir das Aufwachen sofort wieder. Nur wer länger als 3 Minuten wach war, erinnert sich an das Aufwachen und interpretiert dies eventuell auch negativ.
Was genau wird in einem interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrum am LKH Graz II, Standort Süd untersucht?
In der Insonie-Abklärung sollte ein störendes Verhalten im Schlaf (Parasomnie), Schnarchen mit Atempausen(Schlafapnoe), Bettzeiten, subjektive Schlafdauer und Schlafverhalten tagsüber sowie Tagesbefindlichkeit erfragt werden. Genussmittelkonsum, Medikamenten- und Systemanamnese (Depression und/oder Angststörung) sowie Fragen nach ruhelosen Beinen, sollten ebenfalls exploriert werden.
Bei schweren Insomnien, mit signifikanter Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit, Therapieresistenz, dem Verdacht auf eine komorbide, organisch bedingte Insomnie oder Hinweisen auf eine Schlaffehlwahrnehmung, ist die umfangreichste Untersuchung des Schlafes, über ein Schlafzentrum, eine wichtige Voraussetzung für die Wahl der passenden Therapie.
Warum glauben Sie, ist der Andrang zurzeit besonders hoch? Steigen die Sorgen der Menschen, die sie schlaflos machen?
Ja. Die Sorgen der Menschen (Teuerung) sind ein wichtiger Risikofaktor für chronische Schlaflosigkeit.
Die Schnittstelle des interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums am LKH Graz II, Standort Süd ist die Schlafambulanz. Was darf ich darunter verstehen?
Um alle Störungen des Schlafes von Beginn an richtig zu beurteilen, die Indikation für notwendige Untersuchungen zu stellen und individualisierte Therapien zu ermöglichen, ist das Arztgespräch mit Spezialisten unerlässlich. Durch die Anamnese stellen wir 80% der Diagnose. Jedoch nicht jeder Patient benötigt ein Schlaflabor.
Gibt es einige Faustregeln, die man grundsätzlich bezüglich des Einschlafens oder Durchschlafens befolgen soll?
Das Bett soll dem Körper wie beim »Pawlowschen Reflex« Schlaf und Entspannung suggerieren. Schlaflosigkeit ist oft eine angelernte Verhaltensweise, die wieder verlernt werden kann. Jugendliche schlafen deshalb so gut, weil sie über Schlaf im Bett nicht nachdenken. Kopf abschalten! Die Schlafzimmeratmosphäre sollte nichts mit Alltagsstress, Beruf und Problemen zu tun haben, belastende Gegebenheiten sollten aus dem Schlafzimmer verbannt werden.
Ich kenne kaum erwachsene Menschen, die mehr als 6 Stunden schlafen. Jetzt ist das zu wenig, oder?
Das Schlafbedürfnis ist individuell und sollte jeder kennen und für sich selbst beachten. Generell werden für Erwachsene 7-8 Stunden empfohlen.
Interview: Martin G. Wanko