Ausreden sind menschlich.

Der Nachhaltigkeitsforscher & Psychologe Thomas Brudermann brachte mit »Die Kunst der Ausrede« ein kurzweiliges Sachbuch heraus. Er analysiert die Schwachstellen im Menschen auf eine durchaus unterhaltende Weise und macht von Anfang an klar: Solange wir von der Ausrede leben, wird sich in der
Klimakrise nicht viel ändern.

Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?

Ich arbeite seit über 10 Jahren als Nachhaltigkeitsforscher und Psychologe an der Uni Graz. Bei Klima und Umweltschutz begegne ich dabei einem interessantem Widerspruch: So gut wie alle Menschen halten sich selbst für umweltfreundlich und befürworten Klimaschutz. Trotzdem sehen wir davon in der Praxis relativ wenig.

Warum sucht der Mensch nach Ausreden?

Das hat in diesem Fall mit unserem positiven Selbstbild zu tun. Wenn wir uns für umweltfreundlich halten und dann einen SUV fahren oder regelmäßig in den Urlaub fliegen, passt offensichtlich was nicht zusammen. Wir brauchen also so etwas wie Rechtfertigungen – oder eben überspitzt formuliert »Ausreden«, mit denen wir uns selbst unsere kleinen Klimasünden erklären.

Welche Konsequenz hätte ein Leben ohne Ausreden?

Ohne Ausreden ist es weniger bequem. Wenn unsere Einstellungen nicht mit unserem Verhalten zusammenpassen, dann führt das laut psychologischer Theorie zu einer unangenehmen kognitiven Dissonanz. Die können wir auflösen, indem wir Einstellungen oder Verhalten ändern. Verhaltensänderungen sind aber oft schwierig, besonders wenn sich nicht auch etwas an unseren Lebensumständen gerade etwas ändert. Und Einstellungen sind relativ stabil, die ändert man auch nicht oft. Einfacher ist es, die Kluft zwischen klimafreundlichem Denken und klimaschädlichem Handeln mit Rechtfertigungen zu überbrücken.

Warum haben wir mit dem Verzicht immer so große Probleme?

Verlustaversion ist bei den meisten Menschen stark ausgeprägt, und Verzicht fühlt sich an wie Verlust. Wir sind kurzfristig zu Verzicht bereit, wenn wir darin einen Sinn sehen – z.B. bei einer Energieknappheit sorgsamer mit Energie umgehen. Als langfristige Vision ist Verzicht aber untauglich.

Gerade die Pandemie hat die Menschen regelrecht »lebensgierig« und unvernünftig gemacht. Was spricht dagegen?

Das ist eine ganz normale Reaktion, wurde über die Jahrhunderte sogar institutionalisiert. Vor der Fastenzeit kommt der Fasching, nach der Fastenzeit das Fastenbrechen. Bei beidem wird gerne über die Stränge geschlagen.

Es zeigt aber auch eines: Wir Menschen wollen uns nicht andauernd schlecht fühlen müssen. Viele können auch die ganzen Klimaschreckensmeldungen nicht mehr hören, und wenn jemand mit dem moralischen Zeigefinger kommt, löst das in uns Ablehnung aus. Ich habe das Buch ja deshalb auch aus einem humorvollen, selbstironischen Blickwinkel heraus geschrieben. Wir dürfen auch über ernste Themen lachen.

Läuft man nicht auch Gefahr, wenn man ein Leben ohne Ausrede lebt, dass einem in gewissen Punkten das Leben an Reiz verliert? (Dann gibt es doch keinen neuen Laufschuhe, weil der in Vietnam erzeugte Schuh gegen viele Punkte verstößt und doch keinen neuen Jahrgangswein aus Südafrika, obwohl er Bio ist usw.)

Ich würde den Reiz des Lebens nicht an Ausreden festmachen. Die Ausreden sind ja nur eine Manifestation unserer inneren Widersprüche, die uns zu dem machen, was wir sind. Bei Konsumentscheidungen sind wir außerdem nicht in der Lage, alle möglichen Kriterien in unsere Entscheidung miteinzubeziehen. Da braucht es auch eine gewisse Portion Pragmatismus.

Machen kleine Ausreden (= kleine Schwächen) den Menschen nicht auch ein bisschen sympathisch?

Ausreden sind menschlich. Wenn ich in meinem Buch diese ganzen Ausflüchte beschreibe, nehme ich mich selbst nicht aus. Und ja, ich finde mich selbst trotz meiner Ausreden, relativ sympathisch.

Ich bin in meiner Umgebung schon als »Müllnazi« bekannt. Das kann ein Abendessen unter Freunden ziemlich anstrengend machen. Droht die Klimawende zu scheitern, weil wir lieber ungemütlichen Situationen im Freundeskreis aus dem Weg gehen?

Einerseits halte ich Diskussion zu Klima- und Umweltthemen für wichtig, auch im Freundeskreis. Andererseits halte ich es für keine besonders gute Idee, die Verantwortung für die Klimawende nur auf Einzelpersonen abzuwälzen. Wir brauchen einfach Strukturen, innerhalb derer Klimafreundlichkeit leichtfällt und zur Normalität wird.

Der Mensch geht mit dem Vorsatz eine Bio-Hühnerkeule zu kaufen in den Supermarkt und verlässt ihn mit einem ganzen Billighuhn. Was geht hier im Kopf des Konsumenten vor, und wie kann von außen entgegengesteuert werden.

Bei den meisten unserer Entscheidungen im Supermarkt geht in unserem Kopf nicht besonders viel vor. Wir haben wenig Zeit und oft wenig Lust, mit dem Einkauf viel Zeit zu verbringen. Wir kaufen, was wir immer kaufen, die Marken, die wir kennen, oder eben was auf unserer Liste steht. Und greifen nebenbei zu Dingen, die uns gerade anlachen (v.a. wenn wir hungrig einkaufen). Mit einem rationalen Entscheidungsprozess hat das meistens relativ wenig zu tun.

Wo liegt für die Wirtschaft der Anreiz einer Systemänderung?

Die Wirtschaft besteht aus Menschen und ich würde meinen: Menschen haben ein Interesse daran, die auf uns hereinbrechende Katastrophe abzumildern. Welchen anderen Anreiz brauchen wir? Die einzelnen Unternehmen brauchen natürlich dann geeignete Rahmenbedingungen, um im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Verantwortung, Wirtschaftlichkeit und internationaler Konkurrenz bestehen zu können.

Haben auch Sie eine Lieblingsausrede?

Nein, nicht mehr. Ich habe mich eingängig damit beschäftigt und die psychologischen Mechanismen dahinter dokumentiert. Wenn mir jetzt eine Ausrede für die 10 Minuten Autofahrt zum Tennisplatz einfällt, dann weiß ich auch, dass ich mir im Grunde was vormache. Man könnte sagen: Ich habe leider aufgehört, mir meine eigenen Ausreden zu glauben.

Thomas Brudermann – »Die Kunst der Ausrede«, 256 Seiten, 22,00 €, oekom Verlag

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Interview: Martin G. Wanko

Bildhinweise: Uni Graz, Tzivanopoulos, OEKOM Verlag

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