Wenn ich das Wort »Alternative« google, komme ich auf 5.610.000.000 Ergebnissen. Das Wort Krieg hat übrigens nicht einmal die Hälfte davon. In dem Moment denke ich mir, noch ist nicht alles verloren, oder?
Cordula Simon:
Die Begriffe zu vergleichen ist aufgrund ihrer Semantik wenig produktiv, alles Mögliche kann Alternativen aller Art haben. Krieg hat nur eine. Krieg ist immer negativ, doch Alternativen kann es positive wie negative geben und das hängt von der persönlichen Einstellung ab. Ist die AfD eine positive oder eine negative Alternative?
Hermann Maurer:
Glaub nicht an solchen Zahlenspielchen. Die Ukrainer mögen schon jetzt das Schlimmste erleben, das es gibt. Wir in Österreich nicht, da kommt es erst: Potentieller Zusammenbruch der Währung, der Wirtschaft, riesige Arbeitslosigkeit, nicht endende Demonstrationen.
Gerhard Glinzerer:
Wofür ist Google die Referenz? Interessant wäre hier Alternative im Kontext zum Krieg. Jedem sollte klar sein, dass Krieg keine Alternative ist und es immer bessere Alternativen als Krieg gibt. Das gilt im Großen wie im Kleinen, von Staaten über Unternehmen bis zu persönlichen Beziehungen.
Günter Riegler:
Alles ist ohnehin nie verloren, das wäre ja genau diese Haltung, über deren Folgen wir heute reden. Nur weil unsere Zukunft gefährdet ist, heißt das ja noch lange nicht, dass alles verloren sein muss.
Gerhard Wendl:
Nein, keinesfalls, wobei das Ziel weniger sein muss, als nur scheinbar »alternativ« zu sein. Es müssen, glaube ich, vielmehr wirkliche und echte Werte hinter denen man auch stehen muss präsent sein, auch zu einem Zeitpunkt, wenn sie gerade nicht im Trend liegen. Mit unserer JUFA Hotels-Idee versuchen wir unsere Werte, rund um Regionalität und Miteinander, immer zu leben, aber auch weiter zu entwickeln.
Das Wort »Alternative« kommt aus dem Latein, 15. Jh., und wurde im 17. Jh. im Französischen erweitert: »Wahlweise, zwischen zwei oder mehreren Möglichkeiten die Wahl lassend«, klingt im Grunde positiv. Was verstehen Sie heute unter dem Wort »Alternative«?
Hermann Maurer:
Das Wort ist mir egal. Aber wir brauchen tatsächlich große Änderungen. Z.B. Radikalen Abbau von Pseudoarbeit, siehe Seite 10 in »Xperten 0.« (austria-forum.org/web-books/xperten00de2004iicm/000007) Wer dieses Buch durchblättert, bekommt auf die meisten der Fragen eine Antwort.
Gerhard Glinzerer:
Heute haben wir so viele Alternativen wie noch nie. Die Informationsflut, die Vernetzung und die finanziellen Möglichkeiten eröffnen Alternativen zu fast allem. Das macht es nicht leichter, denn es verpflichtet uns die jeweils richtige Alternative zu wählen. Diese Verpflichtung gilt auch für Unternehmen, nicht nur die ökonomisch beste Alternative, sondern auch die ökologisch und moralisch beste Entscheidung zu treffen.
Cordula Simon:
Eine Alternative zu haben ist gewiss positiv, ob die Alternative selbst jedoch ein positives Ergebnis bringt, führt uns zur Ambivalenz des Begriffes: Kann gut gehen, muss aber nicht.
Günter Riegler:
Entscheidend ist – und dieses Wort allein weist den Weg, denn es fordert uns auf, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden – dass wir die Chancen von Veränderungen erkennen, denn es steckt in uns Menschen sichtlich, dass jedes Abbiegen vom gewohnten Weg uns ängstigt.
Gerhard Wendl:
In unserer Urlaubsidee steht das Wort »sicher« für Respekt vor den Regionen, um echte Urlaubserlebnisse zu schaffen, nicht bearbeitet und künstlich aufgehübscht durch irgendwelche Marketing-Agenturen.
Was wird in Zukunft die wichtigste Weiche sein, die wir uns stellen müssen?
Gerhard Wendl:
Touristisch gesehen, wird es die Mobilität sein. Das Thema rund um die berühmte »letzte Meile« findet speziell abseits der Ballungszentren viel zu wenig statt. Hier sind wir sicher gefordert nachzuschärfen und eine öffentliche Anreise bis zum Ziel zu vereinfachen.
Cordula Simon:
»Müssen« wir? Wir sehen schon hier ein Dilemma: Viele glauben, sie müssten nicht, denn sie hoffen vom Endergebnis unberührt zu bleiben, während sie Zeit ihres Lebens wenig Gedanken an den Planeten verschwendet haben. Nach dem Motto »YOLO«, das wohl eher eines der Generationen unserer Vorväter war, denn das der heutigen Jugend. Wir müssen in Wahrheit gar nichts, aber wir sollten, wenn auch die kommenden Generationen eine Chance haben sollen.
Hermann Maurer:
Mehr Forschung. Mehr Arbeit sehe ich als wichtig zu unterstützen. Rom ist durch Unterhaltung und Spiele untergegangen – wollen wir das nachmachen?
Gerhard Glinzerer:
So etwas wie die wichtigste Weiche gibt es genauso wenig wie das beste Auto, die schönste Frau oder einfache Lösungen. Wichtig ist, dass wir langfristige Verantwortung für unsere Weichenstellungen übernehmen und deren Auswirkung auf Umwelt und die Menschen berücksichtigen. Das gilt für Wirtschaft und Politik gleichermaßen. Das billigste Gas ist nicht die beste Alternative, wenn man sich dafür in eine starke Abhängigkeit begibt.
Günter Riegler:
Man darf hier ruhig das neudeutsche Wort »Mindset« bemühen. Es reicht ja nicht nur zu verstehen, warum Entwicklungen – wie beispielsweise beim Klima – eine riesige Hypothek für die Gegenwart und Zukunft sind. Von ein paar Unverbesserlichen abgesehen, wissen das ohnehin schon fast alle. Aber viele transformieren dieses Wissen nicht ins persönliche Handeln.
Wo müssen wir ansetzen?
Cordula Simon:
Jeder muss bei sich selbst beginnen – leider ist es oft schwierig, die Konsequenzen des eigenen Handelns einzuschätzen. Warum z.B. ein zersetzbarer Biomüllbeutel nicht in den Biomüll darf. Die schnellen Lösungen, die von den Industrien propagiert werden, sind oft nur Feigenblätter.
Hermann Maurer:
Indem wir aufhören lauter Tabus zu haben. Wir benötigen Atomenergie/Fusion in 40 Jahren, weil wir viel mehr Energie brauchen, um z.B. das Meerwasser zu entsalzen, um die Sahara fruchtbar zu machen. Genforschung gehört gefördert, nicht verboten.
Gerhard Glinzerer:
Da gibt es leider viel Arbeit. Die Pandemie, der Krieg und die Klimakrise zeigen unsere Probleme schonungslos auf. Hinzu kommt, dass ein Teil der Gesellschaft das Vertrauen in Wissenschaft und Demokratie verliert und nach dem starken Mann ruft. Wir brauchen aber das Vertrauen der Gesellschaft, um die großen Probleme nachhaltig lösen zu können, denn ganz ohne Einschnitte wird das nicht gehen. Wir müssen beim Vertrauen der Menschen ansetzen und das müssen die Verantwortlichen in Wirtschaft und vor allem Politik verstehen und vorleben.
Günter Riegler:
Wir müssen aufhören, den Menschen für alles und jedes die Verantwortung abzunehmen. Der »Papa Staat« oder gar eine »Weltgesellschaft« – was immer damit auch gemeint sein mag – wird es nicht auf Dauer richten können.
Gerhard Wendl:
Wir brauchen eine neue Art der Globalisierung. Globalisierung muss sich zukünftig die Frage stellen, wie können wir unseren Globus ökologischer gestalten und nicht wo können wir billiger produzieren.
Müssen wir die Menschen auf ein »anderes« lebenswertes Leben vorbereiten? Und wenn ja, dann wie?
Cordula Simon:
Eine der besten Ideen ist Menschen an die Frage, was sie zum Genuss brauchen, heranzuführen: Frische Paradeiser, warm von der Sonne, der Duft von Holunder – ja, wieso nicht einen eigenen Garten? Wir Menschen wollen aber gerne glauben, dass wir einen Vorteil haben und nicht nur Arbeit, wenn wir eine Gewohnheit ändern. Genuss und die verklärte Freude, die eigenen Hände in die Erde zu stecken.
Hermann Maurer:
Warum gibt es keine olympischen Spiele für echtes Wissen, nicht Merkwissen sondern Verständniswissen?
Gerhard Glinzerer:
Ja und nein, lebenswert ist Leben allemal und der globale Lebensstandard hat sich in den letzten hundert Jahren dramatisch verbessert, wir können durchaus davon ausgehen, dass es in Zukunft besser wird. Dennoch werden wir einiges anders machen müssen und mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen vernünftiger umgehen. Vielleicht müssen wir uns kurzzeitig einschränken, um aktuelle Probleme zu lösen (Pandemie, Krieg, Klima), aber hier vertraue ich auf den steigenden Reifegrad der Menschheit. Dies können wir durch qualitativ hochwertige Bildung der Gesellschaft unterstützen.
Günter Riegler:
Natürlich braucht es hier auch den politischen Willen, zum einen Klartext zu sprechen, zum anderen aber – und das ist noch viel wichtiger – nachvollziehbar zu kommunizieren, wie dieses »bessere Leben« aussehen könnte. Wir haben im Kulturjahr 2020 eben ganz bewusst die Frage gestellt, wie wir morgen leben wollen. Wir müssen überzeugen, wenn wir überleben wollen! Bertrand Russell hat dafür die treffende Formulierung gefunden, dass man die Menschheit überreden muss, in ihr eigenes Überleben einzuwilligen.
Gerhard Wendl:
Müssen oder Dürfen? Wir, in der JUFA Hotels-Welt, sehen auch mit unserer regionalen, familienfreundlichen Idee von Tourismus auf Augenhöhe, dass immer mehr Menschen zumindest in ihrem Urlaubsverhalten diese bewusste Art von Urlaub suchen und auch bewusst bewusster mit dem eigenen »Fußabdruck« umgehen.
Ich glaube, dass immer mehr Menschen erkennen, wie wichtig Wertegemeinschaften sind. Und die Wertschätzung der eigenen Region und der vorhandenen Ressourcen kann entscheidend dazu beitragen.
Inwieweit ist »die Alternative« in Ihrem Beruf ein Thema?
Cordula Simon:
Etwas, das bereit stehen sollte, wenn es mit dem Verdienst durch Kunst nicht mehr so recht klappt.
Hermann Maurer:
Die wichtigste Weiche ist weniger Menschen, weltweit, aber auch bei uns. Als ich Kind war, hatte Österreich 6 Mio., heute 9 Mio. Um 1900 hatte die Welt etwa 1,2 Milliarden Menschen, heute sind wir 8 Milliarden. Nach IIASA Studien hält der Planet Erde langfristig nicht ganz eine Milliarde Menschen mit vernünftigen Lebensstandard aus. Also mehr als zwei Kinder überall ist unmöglich zu machen. Wir brauchen nicht mehr junge Menschen in Österreich, auch wenn wir immer älter werden. Die notwendige Arbeit ist leicht von den verbleibenden Menschen zu erledigen, wenn man erstens vieles automatisiert, und Pseudo-Arbeit radikal abschafft. Warum haben wir 9 Bundesländer mit 9 Verwaltungen, Bayern ist größer und kommt mit einer Verwaltung durch.
Gerhard Glinzerer:
In welchem Beruf nicht? Bei uns ganz besonders, wir beschäftigen uns mit alternativen Energieträgern und leben diese Nachhaltigkeit auch in allen Unternehmenssparten. Heute gibt es für alles eine Alternative, aber nicht jede Alternative ist die bessere Lösung, daher ist die gesamtheitliche und nachhaltige Betrachtung entscheidend.
Günter Riegler:
In der Politik sind Pragmatisierungen aus gutem Grund kein Thema! Jeder und jede von uns weiß, dass er oder sie nur auf Zeit bestellt ist. Ich habe ja das Glück, vor der Politik bereits in unterschiedlichsten Berufen Erfahrungen sammeln zu dürfen.
Gerhard Wendl:
Auch hier muss ich das Wort »Alternative« durch »Wertvorstellungen« ersetzen. Die haben in meinem privaten und beruflichen Leben immer eine zentrale Rolle gespielt und oft als stiller Leitfaden geholfen bewusste Entscheidungen zu treffen.
Kann hier die Kultur ein Vorreiter sein?
Cordula Simon:
Wenn sie Menschen erreicht. Jahrzehntelang hatte die Wissenschaft die Vorreiterrolle inne, doch ohne mediale Aufmerksamkeit hielt sich das Handeln in Grenzen.
Gerhard Glinzerer:
Die Kultur als Spiegelbild unserer Gesellschaft wird niemals ein Vorreiter sein, sondern dient der Erkenntnis. Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung und hier spielt sicher die Kunst eine entscheidende Rolle, denn mit der künstlerischen Darstellung können Schwächen erkannt und Alternativen aufgezeigt werden, ohne direkt zu kritisieren und/oder Vorschriften zu machen. Auch hilft uns die Kunst zu entspannen und unsere Blickwinkel zu erweitern, was wir durchaus benötigen.
Günter Riegler:
Was heißt hier »kann«? Es ist doch eine der wichtigsten Aufgaben der Kultur, ständig an einer besseren Welt mitzuwirken.
Gerhard Wendl:
Ja, gerade die jungen Menschen halten uns hier den Spiegel vor und sagen »Ihr wart die Konsumgesellschaft« und jetzt geht es um Respekt, Respekt vor Umwelt und es geht schlussendlich auch um Respekt im Urlaub, vor der Region die man besucht. Gerade hier sind, und wollen wir weiterhin Vorreiter in der Branche sein.
Ich gehe jetzt ganz direkt rein: Den Menschen die Wahl zu lassen, ist nicht immer klug. Sollte man zum Beispiel Essgewohnheiten durch Gesetze ändern?
Cordula Simon:
Essgewohnheiten ändern sich durch Bewusstsein, was in welchem Produkt enthalten oder mit ihm verbunden ist, oder durch eine Veränderung des Angebotes an Nahrungsmitteln. In Zweiteres wäre es möglich einzugreifen. Ersterem wird man mit Gesetzen nicht beikommen können. Ob es eine gute Idee ist Informiertheit durch Gesetzgebung zu ersetzen steht auf einem anderen Blatt. Der aufgeklärte Mensch sollte selbst entscheiden dürfen.
Hermann Maurer:
Reine, unnötige Spinnerei! Wir brauchen Forschung, nicht anderes Essen. Forschung wird Fleisch ohne Tiere erzeugen, wird mit künstlicher Photosynthese aus CO2, von dem wir »Gott Sei Dank« einiges in der Luft haben, und mit Kohleverbrennung Nachschub und Energie erzeugen können und essbares Gemüse herstellen.
Gerhard Glinzerer:
Direkte Antwort: Nein! Vorschriften in diesen Bereichen bringen nichts, im Gegenteil, siehe die Prohibition in den USA. Der Staat hat aber die Pflicht steuernd einzugreifen und so z.B. ungesunde Produkte durch Steuern, Werbeverbote etc. weniger attraktiv zu machen oder gefährdete Gruppen (z.B. Jugendliche) zu schützen. Letztlich muss der Mensch selber entscheiden können, was gut oder schlecht ist. Ich möchte nicht, dass mir der Staat vorschreibt, was ich essen darf und was nicht. Hier müssen wir auf den gesunden Menschenverstand setzen und diesen durch Bildung fördern.
Günter Riegler:
Nein! Mit Gesetzen, die die Menschen zu sehr bevormunden, sollten wir äußerst sparsam umgehen.
Gerhard Wendl:
Das Reglementieren, das haben wir die letzten 2 Jahre gelernt, funktioniert auch nicht immer. Zielführender wäre es den Güter-Transport in einer Kostenwahrheit darzustellen, was dazu führen würde, dass bestimmte Produkte nicht mehr so oft auf dem Teller landen, und regionale Produkte eine große Chance finden. Hier ist es in den letzten Jahren zu einer falschen Förderpolitik gekommen.
Die Menschen wirken heute teilweise erschöpft und resigniert. Woran mag das liegen?
Cordula Simon:
Ständige Erreichbarkeit, Social Media, Verpflichtungen, Lärm, Funktionieren müssen, Unruhe, Zivilisationskrankheiten, Nervenkrankheiten, die Liste ist lang. Die Hände in die Erde stecken, hilft bei den meisten.
Gerhard Glinzerer:
Viele Menschen sind frustriert und das ist teilweise nachvollziehbar.
Es gibt einen großen Vertrauensverlust in der Gesellschaft. Sehen wir uns die Skandale in unserer Republik an, als junger Mensch, der vielleicht die letzten 10 Jahre aktiv die Politik verfolgt, der muss frustriert sein. Zum Glück haben einige junge Leute aber auch klare Vorstellung von vernünftigen Alternativen und das müssen wir fördern.
Günter Riegler:
Hier braucht es zwei Antworten. Erstens stimmt die so gestellte Frage überhaupt? Von Lord Byron bis Oblomow – und da sind wir im vorletzten Jahrhundert – ist der erschöpfte Mensch ein nicht nur literarisches Thema. Aber zweitens kann diese generelle Grundstimmung natürlich auch nicht übersehen werden: Zeiten der Krise sind bekanntlich Zeiten, in denen das Alte nicht mehr gilt und das Neue noch nicht gefunden ist. Insofern stimmt diese Beobachtung schon auch ein Stück weit.
Gerhard Wendl:
An einer Medienkultur und der steigende Informationsfluss. Mit »Bad news are good news« ist es schwierig. Ich glaube dafür sind wir Menschen auch nicht gemacht. Wir brauchen wieder das Positive, das Nach-vorne-blicken. Wir haben so zum Beispiel mitten in der Corona-Zeit mit über 300 Mitarbeitern unseren »Zukunftsprozess« gestartet und fragen uns dabei nicht, warum etwas nicht geht, sondern: »Wie geht’s?«
Wie bringen wir die Menschen wieder auf Vordermann?
Cordula Simon:
Das wird wohl individuell verschieden sein. Hatte ich die Hände in der Erde schon erwähnt?
Gerhard Glinzerer:
Die führenden Menschen in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft müssen wieder Vorbilder werden. Ja, korrupte Politiker, geldgeile Finanzhaie und gekaufte wissenschaftliche Gutachten zerstören das wertvolle Gut des Vertrauens. Vertrauen zu gewinnen braucht lange, verloren ist es innerhalb von Sekunden. Wenn unsere Leistungsträger das verstehen und leben, dann kommen wir wieder nach vorne.
Günter Riegler:
Es mag ein banales Wortspiel sein, aber es stimmt; die beiden wichtigsten Wörter sind hier »fördern« und »fordern«. Wer immer nur »niederschwellige« Zugänge sucht, wird nur schwer in die Höhe kommen. Wer immer nur davon spricht, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen, wird meist eher zurück als nach vorne gehen.
Gerhard Wendl:
Wir haben uns entkoppelt von unseren Regionen, von der Natur. Wir müssen uns einfach wieder verbinden und Synergien nutzen und dafür einstehen, wo wir leben und versuchen möglichst viele Menschen hier positiv mitzunehmen.
Die Menschen im letzten Jahrhundert kommen mir unerschrockener vor. Man sagt ihnen zugleich nach, sie hatten mit zu wenig Problemen zu kämpfen, stimmt das?
Cordula Simon:
Die meisten Menschen heute haben nicht mit einem großen Problem, sondern mit einer Unsumme kleiner Probleme zu kämpfen. Vielleicht würde auch jemand aus dem letzten Jahrhundert vor der Masse an Petitessen kapitulieren und sich entscheiden morgens nicht einmal die Socken anzuziehen.
Hermann Maurer:
Die letzten 80 Jahre hatten zu wenig Herausforderungen, an denen Menschen gewachsen wären.
Gerhard Glinzerer:
Ja, in den letzten 50 Jahren waren die Probleme in der westlichen Welt definitiv geringer als in den Zeiten davor. Das wurde aber auch zu einer unglaublichen Entwicklung in der Wirtschaft und Technologie genutzt. Trotzdem hat jede Generation ihre eigenen Probleme, die alle schwer vergleichbar sind.
Günter Riegler:
Natürlich war es in Zeiten des Wirtschaftswachstums, unter völlig anderen demografischen Rahmenbedingungen, einfacher als jetzt, wo die Babyboomer sich in die Pension verabschieden. Das ist gar keine ideologisch-politischer Erkenntnis, sondern reine Mathematik. Ob die Menschen deshalb wirklich unerschrockener waren, will ich bezweifeln. Unbestritten sind die Lebensentwürfe heute aber um vieles volatiler als vor 50 Jahren. Ob das gut oder schlecht ist, liegt im Auge des Betrachters.
Gerhard Wendl:
Ich glaube nicht, aus der Distanz fühlt sich vieles vielleicht leichter an. Die Herausforderungen sind da, und vielleicht mehr als je zuvor müssen wir lernen, auf das eine oder andere zu verzichten, was sich ja auch positiv auswirken kann. Nicht die Entfernung des Urlaubs ist entscheidend, sondern das Erlebnis und die Erholung.
Gegenfrage: Früher war alles besser?
Cordula Simon:
Vor allem Nostalgie. Sonst aber auch nicht viel.
Hermann Maurer:
Früher war fast alles schlechter.
Gerhard Glinzerer:
Früher war alles anders und in der Zukunft wird auch alles anders sein. Wer glaubt, dass früher alles besser war, der soll sich mit den Tatsachen beschäftigen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen nehmen stark ab (trotz Ukraine-Krieg) die Lebenserwartung und der Lebensstandard steigt in der ganzen Welt. Niemand will in die Vergangenheit zurück.
Günter Riegler:
Nicht besser, nicht schlechter, definitiv aber anders.
Gerhard Wendl:
Sie meinen in der Steinzeit? Die Frage ist: »Wo ist es besser?« Wir sind sicher in einem Teil der Welt, wo es vielen besser geht, aber es gibt ganz viele Menschen, die leben in einem Teil der Welt, wo es ihnen nicht besser geht und dieses Thema müssen wir lösen.
»There is no Alternative« hat es einmal unter der Premierminister Margaret Thatcher geheißen. Was wäre heute »alternativlos«, also was ist die höchste Devise in der Not? 2010 wurde »alternativlos« zum Unwort der deutschen Sprache erklärt.
Cordula Simon:
Alternativlosigkeit gibt es nicht. Natürlich ist es unumgänglich, also alternativlos sich der Rettung der Umwelt anzunehmen und doch mäandern wir den gemächlich alternativen Weg der Entscheidungsträger entlang, die nur nichts Unbeliebtes umsetzen wollen. Einschränkungen sind also alternativlos, außer das Ziel ist nur die Legislaturperiode zu überstehen.
Hermann Maurer:
Welche Not?
Gerhard Glinzerer:
Alternativlos suggeriert, dass man über Alternativen gar nicht nachdenken muss, also Vorsicht vor jedem der dieses Wort verwendet. In der Not glaubt man oft, keine Alternative zu haben, aber das ist meistens nicht so. In der Not ist es ganz besonders wichtig, sich aller Alternativen bewusst zu sein und die richtige zu wählen.
Günter Riegler:
»Alternativlos« klingt immer nach Denkverbot, daher sollten wir dieses Denkmuster nicht weiterverfolgen. Es kann immer noch bessere Ideen geben, und wir sollten »unerschrocken« genug sein, diesen dann auch zu folgen.
Gerhard Wendl:
Unser Planet braucht einen Zukunftsprozess, der findet bisher nicht statt. Wir müssen allgemein gültige Strategien und ein Zukunftsbild mit neuen Wertvorstellungen schaffen. Nur Konferenzen abzuhalten, wird zu wenig sein, hier muss man auch die Egozentriker dieser Welt zusammenführen und gemeinsam ein Kommittent schaffen.
Die letzten zwei Jahre sind an keinem spurlos vorüber gegangen. Was haben wir unterm Strich gelernt?
Cordula Simon:
Dass wir mit weniger Menschen auskommen oder dass wir Menschen dringend brauchen? Dass jeder ein anderes individuelles Sicherheitsbedürfnis verspürt? Dass wir gerne Kinder unserer Zeit waren und eines besseren belehrt wurden, als der Krieg dann doch kam? Die Geschichte wird zeigen, was und ob wir gelernt haben.
Hermann Maurer:
Dass in manchen Situationen eine autoritäre Regierung mehr als eine lasche Demokratie notwendig ist.
Gerhard Glinzerer:
Wir haben schmerzhaft erlebt, dass wir nicht so sicher sind wie wir glauben, ein Virus hat unser ganzes Leben durcheinandergebracht und vor unserer Haustüre steht der Krieg. Gelernt haben wir, dass Sicherheit trügerisch ist und Resilienz nicht nur ein Schlagwort ist. Bewusster und nachhaltiger Leben und vor allem ein Miteinander rückt mehr in den Vordergrund.
Günter Riegler:
Schwer zu sagen, leichter ist hier schon die Antwort zu geben, was wir verlernt haben: das unmittelbare Zugehen aufeinander!
Gerhard Wendl:
Wir haben gesehen wie schnell wir von einer solidarischen Gemeinschaft innerhalb weniger Tage zu einer »es geht jetzt zuerst um mich« Gesellschaft geworden sind, das ist leider auch Ausdruck einer verfehlten Bildungspolitik. Aber es gibt auch Positives, viele Menschen haben ihre Region in der sie leben, ganz neu und wertschätzend kennen gelernt.
»Angst lähmt den freien Gedanken« oder wie verbreiten wir ein positives Klima?
Cordula Simon:
Humor hilft, sogar am Galgen. Nicht, dass die Welt am Galgen hinge, die Welt geht nirgendwo hin, wie George Carlin so schön sagte – wir gehen.
Gerhard Glinzerer:
Angst lähmt den freien Gedanken – ausschlaggebend für positives Klima ist vernünftige und sachliche Aufklärung und ein Miteinander auf allen Ebenen. Offene Runden und Gespräche fördern ein positives Klima – zwischenmenschliche Interaktionen sind das Um und Auf. Die Frage ist aber absolut berechtigt, wir müssen ein positives Klima durch Vertrauen und Respekt füreinander aufbauen. Da sind alle Bereiche von Politik über Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst gefordert.
Günter Riegler:
Optimismus wäre ansteckend, doch es ist viel anstrengender diesen Weg zu gehen. Mit 280 Zeichen ist es immer leichter dagegen als dafür zu sein!
Gerhard Wendl:
Mut zum Tun ist angesagt, das schafft kleine Erfolgserlebnisse und kleine Erfolgserlebnisse schaffen positives Klima.
Was ist das Wichtigste, das wir »sofort richten« sollen?
Cordula Simon:
Den Mangel an Wohlwollen in unseren Gesprächen. Manchmal vergessen wir, dass der Großteil aller Interaktionen zwischen Menschen von Vertrauen geprägt ist; sie positiver Natur sind. Auch Gegner der eigenen Standpunkte sind Menschen und Schlagworte, die benutzt werden, sagen oft nicht genug über eine Einstellung aus. Wir sollten daher weniger urteilen, erst recht nicht vorschnell. Das kann man jeden Tag üben, mit jedem Menschen, mit dem man interagiert. Ohne Gemeinsamkeit keine gemeinsamen Anstrengungen und unsere Welt wird diese brauchen.
Hermann Maurer:
Mehr Forschung, Ausbildungsstellen müssen Gehirne fordern! Das Gerede, alles spielerisch zu lernen, ist so, als würde ein Mensch Topsportler werden können, ohne zu schwitzen.
Gerhard Glinzerer:
»Sofort richten« sollte man das Miteinander und die Förderung der Wissensvermittlung – nur wer gemeinsam an einem Strang zieht, kommt dem Gefühl etwas bewegen zu können, Schritt für Schritt näher. Die Vielfältigkeit an Können und Wissen jedes Einzelnen ergibt ein Ganzes und bahnt den Weg zum Erfolg.
Günter Riegler:
Auch das Wichtigste ist nicht alternativlos. Es reicht schon, wenn wir alle versuchen, unser Bestes zu geben.
Gerhard Wendl:
Nicht zu warten bis das politische Leadership Maßnahmen setzt. Jeder einzelne muss sich seinen kleinen persönlichen Beitrag überlegen. Das geht am Ende bis zur Urlaubsentscheidung. In Dänemark und Schweden gibt es diese Strömungen schon, die sagen, ich fliege nur noch jedes 2. Jahr. Wir dürfen nicht nur auf die große Lösung warten, sondern jeder einzelne kann an kleinen Lösungen mitwirken. Und auch unsere JUFA Hotels-Idee soll so ein kleiner Beitrag zu einer gesunden Zukunft sein.
Moderation: Martin G. Wanko