Es ist nicht mehr zu übersehen: Österreich bäckt selbst. Brot geht den Weg vom Billigprodukt retour zum wertvollen Lebensmittel. Backworkshops und Do-it-yourself-Bücher boomen. Wolfgang Kühnelt hat sich auf eine knusprige Spurensuche gemacht.
Können Sie sich noch erinnern? Erster Lockdown, Frühjahr 2020. Während manche Panik bekommen, dass ihnen womöglich das Hygienepapier ausgeht, habe ich ein anderes Problem. Ich muss dringend Hefe besorgen. Die Schwiegermutter verlangt danach. Im vierten Supermarkt ernte ich nur Gelächter: „Germ? Restlos ausverkauft!“ Was ist nur aus diesem Land geworden? Einst musste man das Körberl flächendeckend bewerben, um das Gebäck den Gästen und den Wirtsleuten schmackhaft zu machen. Dann schossen plötzlich Billig-Bäckereiketten aus dem Boden. Das Diskontbrot lud geradezu zum Entsorgen ein. Laut Schätzungen des Bauernbundes landeten vor der Pandemie bis zu 146.000 Tonnen (!) Brot und Gebäck in privaten Mülleimern in Österreich. Und jetzt? Herrscht allerorten Nachhaltigkeit und ein neues Qualitätsbewusstsein. Wie kann das sein?
Eine, die darüber bestens Bescheid weiß, ist Barbara van Melle. Sie hängte vor Jahren ihre TV-Karriere beim ORF an den Nagel und begab sich an den Backofen. Und an den PC, denn ihr Buch „Der Duft von frischem Brot“ wurde zum Bestseller. „Ich habe immer schon gern gekocht“, erzählt sie, „und wenn man auch gerne isst, sieht man, dass Brot ein prägendes Grundnahrungsmittel ist. Ich muss aber fairerweise sagen, ich hatte gehörigen Respekt vor dem Brotbacken. Ich dachte, dass man da eine Unmenge technischer Utensilien braucht. Heute nach vielen Workshops, die ich geleitet habe, kann ich sagen: Wenn man das richtige Know-how hat, kann man mit einem gängigen Haushaltsofen, der zumindest eine Temperatur von 250 Grad erreicht, hervorragend backen.“
Zwei Sachen sind van Melle, die gemeinsam mit Bäckermeister Simon Wöckl in Wien ihr Unternehmen „Kruste und Krume“ eröffnete, wichtig: Backen will gelernt sein. Und es gibt viele äußere Faktoren, die ein Rezept und die Beschaffenheit des Teiges beeinflussen, wie die Qualität des Mehls oder die Raumtemperatur beim Backen. Die wichtigste Zutat aber ist die Zeit, die man sich und dem Brot gibt. „Es gibt kein schnelles Brotrezept, das ich empfehlen könnte“, sagt die erfahrene Backlehrerin. „Spontan zu Mittag zu entscheiden, etwas für die Gäste am Abend zu backen, das wird schwierig. Aber dafür bekommen Sie mit der entsprechenden Geduld ein Brot, das geschmacklich, aromatisch, aber auch gesundheitlich überlegen ist. Und wenn ein Roggensauerteig neun bis zwölf Stunden braucht, müssen Sie ihm ja nicht die ganze Zeit dabei zusehen.“ Die Ruhe und Konzentration beim Backen sieht van Melle als einen der schönen Nebeneffekte. „Die Leute stehen beglückt da, weil sie etwas real geschaffen haben in virtuellen Zeiten wie diesen“, resümiert sie ihre Erfahrungen. Übrigens: Das mit dem Backboom während des Lockdowns kann die Unternehmerin voll bestätigen. Ihr Online-Shop wurde ebenso stark frequentiert wie ihr Youtube-Kanal und ihre Live-Videos auf Facebook.
Germ geschehen
Was aber isst eine erfahrene Bäckerin selbst gerne? „Einerseits ein sehr dunkles Brot mit Waldstaudenroggen, einer alten Getreidesorte, ohne Hefe, nur mit einem zweistufigen Sauerteig und ein bisschen Honig. Andererseits großporige Weizenbrote, ganz resch. Und dann bin ich ein großer Fan des österreichischen Handgebäcks. In keinem Land dieser Erde gibt es eine solche Vielfalt von Salzstangerln über Kipferln und Brezen bis hin zu vielen Gebäckssorten, die schon fast vergessen sind.“
Apropos: Damit die Backkultur nicht in Vergessenheit gerät, entdecken immer mehr Menschen alte Sorten und Handwerkstraditionen wieder. Bäuerinnen wie Grete Auer aus Kumberg, deren Holzofenbrot an Markttagen meist sehr rasch ausverkauft ist, sind hier ebenso zu nennen wie Siegbert Reiss aus Eggersdorf bei Graz, der in den vergangenen Jahren über 100 Prämierungen für sein wunderbares Bauernbrot entgegen nehmen konnte. Im Umfeld der Städte haben Landwirte und Bäckereien erkannt, dass es eine große Nachfrage nach echtem Handwerk gibt. Aber auch in der Peripherie erlebt das Backen eine neue Blüte. So wurde das Lesachtaler Brot aus Oberkärnten in die nationale Liste des immateriellen Welterbes der UNESCO aufgenommen. Damit wird nicht nur das Backwerk selbst gewürdigt, sondern auch die jahrhundertealte Tradition des Brotbackens in hauseigenen Öfen.
Den Trend zum Do-it-Yourself-Backen hat auch Albin Sorger-Domenigg junior bemerkt. Und – das kommt jetzt vielleicht überraschend: Der junge Mann, der gemeinsam mit seinem Cousin eine der ältesten und größten Bäckereien im Süden Österreichs übernommen hat, findet diese Entwicklung sehr erfreulich: „Ich begrüße das sehr, denn das Lebensmittel bekommt durch diesen Boom eine andere Wertigkeit. Die 1-Euro-Diskont-Ware, die man nach einem Tag wegwirft, hat ja nicht viel mit Brot zu tun. Die Leute, die jetzt das Backen für sich entdecken, investieren viel Liebe und Zeit. Da sie aber nicht jeden Tag die Küche von oben nach unten umräumen können, wissen sie gute Qualität bei uns zu schätzen.“ Gefragt nach den Trends am Brotmarkt, weist auch Sorger auf eine Rückbesinnung auf die Tradition hin. „Ursprüngliches Brot mit Sauerteig aus unserem Holzofen kommt sehr gut an. Wir sehen auch, dass Leute, die selbst backen, ein Brot akzeptieren, das nicht völlig rund ist und eine Semmel, die hellere und dunklere Stellen hat.“ Dementsprechend schätzt Sorger jun. das älteste Rezept seines Unternehmens ganz besonders. Das Bio-Holzofenbrot 1688, das seit Beginn 2021 wieder im Sortiment ist. „Ein saftiges Brot mit knuspriger Krume, mit einem Sauerteig, der gekocht wurde“, schwärmt der Grazer Unternehmer.
Und ich?
Gehe jetzt Hefe kaufen. Die Schwiegermutter hat mir ihre Einkaufsliste geschickt. Germ geschehen…
Wolfgang Kühnelt
Bild Barbara van Melle: Lukas Lorenz