Die Frage, was in den Topf kommt und was im Mülleimer landet, beschäftigt jede Hobbyköchin, jeden Freizeitgastronomen. Tonnenweise werfen wir in Österreich Lebensmittel weg. Aber wie sehen das die Profis? Ist das Schlagwort von der „Nachhaltigkeit“ in Geschäften und Restaurants angekommen? Eine Cuvée aus Theorie und Praxis.
Übermotiviert am Bauernmarkt eingekauft? Äpfel, Karotten, Salat suboptimal eingelagert? Das alte Brot in Ermangelung eines Pferdes in den Biomüll gekippt? Die Situation dürfte den meisten vertraut sein. Laut einschlägigen Erhebungen landen über 520.000 Tonnen Lebensmittel in Österreich jährlich in der Tonne. Mehr als ein Viertel davon ist Gebäck, ein Viertel bilden Obst und Gemüse. Macht zwischen 250 und 800 Euro pro Jahr, die ein durchschnittlicher Haushalt verschwendet. Ebenso schlimm ist die Situation in der Gastronomie. Laut einem Test der Initiative „United against waste“ lag der Lebensmittelabfall bei bis zu 46 % des ausgegebenen Essens. Und das ohne die Reste, die durch die Zubereitung entstanden waren. Österreichweit geht man von 45.000 Tonnen vermeidbaren Abfällen in der Gastronomie aus, noch etwas mehr in der Hotellerie. Pro Küchenbetrieb werden so rund 8.000 Euro pro Jahr vernichtet.
Wer Lebensmittel richtig lagert und auch dann verarbeitet, wenn sie nicht mehr ganz taufrisch sind, schont die Umwelt und das Haushaltsbudget. Das haben auch Profi-Köche längst erkannt. Das vielleicht erste deklarierte „Restlessen“ auf Hauben-Niveau im Süden Österreichs führten die Reitbauers im Steirereck am Pogusch ein. Die Idee wurde aus praktischen Überlegungen geboren. Wer ein Lokal zu bespielen hat, das nur am Wochenende offen hat, muss danach trachten, möglichst viel vor Ort zu verbrauchen. Derzeit wächst sich das Steirereck gerade zu einer gastronomisch wie touristisch innovativen Destination aus, das Restl- essen am Sonntagabend wird allerdings nach wie vor angeboten.
Bücher über nachhaltigen Umgang mit Essen boomen, aktuell liegt Paul Ivic mit „Restlos glücklich“ (Brandstätter Verlag) in den Bestsellerlisten vorne. Er schreibt von der Möglichkeit, die Welt selbst zu verbessern und dabei zu genießen. Das Umdenken, so Ivic, beginnt auch bei einem Sterne-Koch beim Einkauf. Wer direkt bei den Produzenten kauft, wird sich bewusst, wie die Lebensmittel hergestellt wurden, sie verlieren ihre Anonymität. Und er geht einen Schritt weiter: „Nachhaltige Küche setzt sich zum Ziel, alte und vom Vergessen bedrohte Rezepturen oder Zubereitungsarten zu bewahren.“ Das nachhaltige Kochbuch enthält eine wunderbare Sammlung an Rezepten, die auch welkem Gemüse eine zweite Chance geben. „Schmorgemüse aus restlichen Rüben“, knusprige „Kohlchips“, Pesto, ein fruchtiger Rumtopf, der Spitzenkoch beweist, dass man mit dem, was man vorfindet, nicht nur das Tagesmenü bestreiten kann, sondern auch für die Zukunft vorsorgt. Ivic ist übrigens kein Küchenromantiker, er weiß genau, wie lebenswichtig gesunde Ernährung ist. In einem Interview in DIE PRESSE von Anfang Februar wird er sehr deutlich: „Ich hab echt Müll gegessen, mich mit pharmazeutischen Produkten über Wasser gehalten, und irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich schwer krank war.“
Ein Kochkollege von Ivic ist Franz Keller. Der frühere Sternekoch aus Deutschland brachte seinen Ärger über unsere verschwenderische Lebensweise schon 2018 zu Papier. Sein Plädoyer „Vom Einfachen das Beste“ (Westend Verlag) beinhaltet nicht nur kluge Gedanken zur Nachhaltigkeit, sondern auch eine persönliche Konsequenz. Keller gab die Spitzengastronomie auf und wurde: Nebenerwerbsbauer. Damit gewann er die Kontrolle über die Lebensmittel zurück und – dramatisch ausgedrückt – auch über sein Leben als Koch.
Einer, dessen Geschäftsmodell darauf beruht, nachhaltigen Ein- und Verkauf zu verbinden, ist „Edelgreissler“ Herwig Ertl aus Kötschach-Mauthen in Oberkärnten. Er ist nicht nur Spezialist für Bio, er kauft auch bewusst Lebensmittel, die nicht im Trend liegen, die sich nicht „von selbst verkaufen“. Warum das? Ertl sagt im Gespräch mit 40plus, dass er die Herausforderung beim Beratungsgespräch sucht: „Je spannender das Produkt, desto intensiver ist es, das dem Kunden vorzustellen. Und desto spannender für mich, sich damit auseinanderzusetzen.“
Ertl pflegt auch einen eigenen Umgang mit dem Ablaufdatum: „Auf den Käse schreibe ich ‚gereift’ drauf, wenn er in die Nähe des Datums kommt. Die Kunden wissen, dass es sich fast immer um Rohmilchkäse handelt, weil ich Lebensmittel verkaufe und nicht nur Nahrungsmittel. Deshalb verlangen wir beim Erreichen des empfohlenen Ablaufdatums nicht nur die Hälfte, aber auch nicht das Doppelte. Mein Ziel ist es, dass der Kunde etwas bei mir lernt und Freude an meinem ‚Anderssein und -denken’ empfindet.“ Und wenn die Kundschaft doch nicht mehr zugreift? „Vieles, das abläuft, isst unsere Familie selbst und es gibt uns noch immer. ‚Mindestens haltbar bis‘ heißt ja nicht: schlecht ab… Die einen werfen es weg, die anderen essen es noch. Wir gehören definitiv zu Letzteren.“
Und noch eine Idee des Kaufmanns aus Kötschach darf gerne Schule machen: „Coronabedingt schicke ich, je nach Anzahl der Lebensmittel mit erreichtem Datum ein Produkt mit, wenn jemand eine Online-Bestellung macht. Mit folgendem Text im Anhang: ‚Das ist meine Träne’. Das fällt dann unter Zwangsbeglückung, die glücklich machen kann.“
Nachhaltige Gastronomie im Süden. Einige schmackhafte Beispiele.
STEIERMARK: Norbert Thaller in St. Veit am Vogau, Berggasthof König Pöllauberg, Steirereck am Pogusch, Gasthaus Haberl & Finks Delikatessen in Walkersdorf, Lurgbauer St. Sebastian bei Mariazell, Krainer Langenwang, Manuel Liepert in Leutschach an der Weinstraße.
KÄRNTEN: Forelle Müller am Weißensee, Trippolt zum Bären in Bad St. Leonhard, Metzgerwirt Radenthein, der daberer Biohotel in St. Daniel, Bärenwirt Manuel Ressi in Hermagor, Gasthof Grünwald in St. Daniel, Von der Leiten von Georg Lexer in Karnburg bei Maria Saal.
Text: Wolfgang Kühnelt
Foto: Herwig Ertl