Für Triest ist es nie zu spät.

Triest
TRIEST

Eine Reise mit Ziel – nachhaltig sein bedeutet auch, dass man in Gegenden verreist, die sich in der Nähe befinden. Friaul, Triest, Istrien zum Beispiel. Georges Desrues, ein Wiener mit französischem Ursprung, der nun seit einigen Jahren in Triest lebt, schreibt ab jetzt für 40plus Eindrücke aus dem nördlichen Süden nieder. So nebenbei: Sein Buch „Triest für Fortgeschrittene“ entwickelt sich gerade zu einem Bestseller.

Ursprünglich waren es in erster Linie praktische Überlegungen, die mich vor sieben Jahren nach Triest trieben. In Italien lebte ich bereits zuvor seit zehn Jahren, in der Region Piemont, im Nordwesten des Landes, zehn bis zwölf Autostunden entfernt von Wien, wo ich aufwuchs. Und wo ich nach wie vor immer wieder zu tun habe. Irgendwann begann die lange Anreise mühsam zu werden.

Eine gänzliche Rückübersiedlung kam nicht in Frage. Viel zu stark waren mir Italien und die Italiener ans Herz gewachsen, viel zu sehr hatte ich mich an den Lebensstil gewöhnt, als dass ich mir ein Leben vorstellen konnte ohne Plausch an der Bar bei einem Cappuccino am Morgen, ohne die tägliche Passeggiata, den frühabendlichen Spaziergang, ohne einen Aperitivo auf der Café-Terrasse bei Abenddämmerung. Folglich suchte ich nach einer Möglichkeit in Italien zu bleiben, mich an Wien aber zumindest anzunähern. Triest schien ideal. Von dort dauert die Fahrt nicht nur halb so lange, sondern kostet auch nur halb so viel. Das war schon einmal gut. Noch besser war, dass ich die Stadt bereits seit meiner Jugend kannte, hier auch Freunde hatte. Schon immer faszinierte mich die für italienische Verhältnisse etwas morbide Atmosphäre, die so stark an Wien erinnert, die kulturelle Vielfalt der Bevölkerung, aber auch der Blick nach vorne aufs blaue Meer und der raue Charme des Karstgebirges im Rücken.

Da ich nun also ans Meer zog, schien es nur logisch, auch eine Wohnung mit Meerblick zu suchen. Und davon gibt es in Triest, allein schon wegen der vielen Hügel und Hänge, etliche. Bald stellte sich heraus, dass hier nicht nur zahllose Objekte frei stehen, sondern auch noch vergleichsweise günstig zu haben sind. Was sich allein schon durch die demografische Entwicklung der Stadt erklärt. Laut Statistiken hat Triest in den letzten 30 Jahren nämlich nicht weniger als 30.000 Einwohner verloren – um die 1.000 im Jahr.

Die schrumpfende Stadt

Hinzu kommt, dass die Bevölkerung altert und inzwischen ein Drittel der Triester über 65 Jahre alt ist. Und das alles, obgleich es eine angesehene Universität gibt, von der man annehmen würde, dass sie viele jüngere Leute anzieht, oder aber hier hält. Und auch trotz der großen Erwartungen, die man vor 30 Jahren noch in die Ostöffnung setzte, durch die sich die Stadt im äußersten nordöstlichen Winkel Italiens plötzlich ins Zentrum Europas gerückt sah.

Dennoch besteht Hoffnung. Seit einigen Jahren arbeitet der Hafen wieder auf Hochtouren und wuchs zum größten Italiens und einem der bedeutendsten in Europa. Das zieht Investoren an, fördert die Wirtschaft, schafft Arbeitsplätze und Perspektiven. Dann ist da der Tourismus, der in den letzten Jahren geradezu explodierte. Zumindest vor der Covid-Pandemie eröffnete alle paar Monate ein neues Hotel. Ganz scheint es so, als hätten nicht nur die Einwohner der Nachbarländer Österreich, Slowenien und Kroatien, sondern auch aller anderen Länder Europas, die bis dahin etwas verschlafene Stadt als Reiseziel entdeckt, als entspanntere alternative Destination zu den in vielen Fällen überlaufenen und unter Massentourismus ächzenden Kulturstädten wie Venedig, Florenz oder Rom.

Was die Attraktionen betrifft, kann Triest mit genannten Kulturstädten freilich nur bedingt mithalten. Hier gibt es keine verwunschenen Kanäle und prächtigen Paläste wie in Venedig, keine antiken Herrlichkeiten wie in Rom und keine Schätze der Renaissance wie in Florenz. Küste und Hinterland zeigen sich lange nicht so lieblich wie etwa an der Amalfi-Küste oder an der Riviera dei Fiori. Es wachsen hier kaum Palmen und es blühen auch keine Zitronen. Und südländischeres Flair findet man selbst im nördlicher gelegenen Udine.

Mit Einzigartigkeit in die Zukunft

Doch was macht das schon? Der Charme der alten Hafenstadt ist ein ganz anderer, einzigartiger. Triest, so sagen viele Triester selbstsicher, sei zwar italienisch, zugleich aber noch viel mehr. Und tatsächlich kommt man, hat man sich einmal auf sie eingelassen, von der Stadt mit ihrer bewegten Geschichte nur mehr schwer los. Langweilig wird es hier nie, Neues zu entdecken findet sich hier ständig.

Triest ist ein Füllhorn an spannenden Geschichten und mythischen Orten, an schillernden Bewohnern aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Und auch im eigenen Umland und der allernächsten Nachbarschaft gibt es etliches zu erleben. Seien es die prachtvollen Städte des Friaul, die lieblichen, mit Weinreben überzogenen Hügel des Collio, oder der slowenischen Brda, die prächtigen Küstenorte und verschlafenen Bergdörfer Istriens, die Lagunen des Veneto oder die dichtbewaldeten Bergriesen der Karnischen und der Julischen Alpen. Drum kann ich mir in Wahrheit keinen aufregenderen Lebensmittelpunkt vorstellen, als diese einzigartige Region zwischen Alpen, Adria und Balkan, mit ihrer geografischen, kulturellen und sprachlichen Vielfalt, in deren Mitte Triest liegt.

Text: Georges Desrues

BILDER:© Gerhard Kroell

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