40plus Talk

Für die Soziologie ist das Schenken die Grundlage der friedlichen Zivilisation. Das funktioniert auch, wenn weniger Geld im Spiel ist. Heute leben wir wieder in einer Krise, natürlich auf hohem Niveau, aber das sorglose Lächeln hat Abnutzungserscheinungen bekommen.

Mama Feelgood, DJ
Mama Feelgood, DJ: „Vernünftiges kauft man sich selbst, manchmal muss man auch ein bissl unvernünftig sein, oder?“
Foto: © Jasmin Schuller
Andreas Vitasek, Kabarettist
Andreas Vitasek, Kabarettist: „Ich glaube, selbstgestrickte Handschuhe und Hauben kommen wieder. Zwangsläufig.“
Foto: © Valerie Loudon
Bischof Wilhelm Krautwaschl
Bischof Wilhelm Krautwaschl: „Vielleicht ist eine Einladung auf einen schönen, gemeinsamen Abend, ein gutes Essen mehr wert als Dinge, die wir alle zur Genüge besitzen. “ Foto: © Christian Jungwirth
Markus Tomaschitz, AVL Unternehmenssprecher
Markus Tomaschitz, AVL Unternehmenssprecher: „Empathie, sich-mit-freuen-können und ein Geschenk, bei dem man merkt, dass man sich Gedanken gemacht hat, verhindern jeden Gedanken an Pflicht.“ Foto: © Toni Muhr

Ist es gefährlich, wenn man das Schenken als „stärkstes Prinzip der Gegenseitigkeit“ in Zeiten wie diesen in Frage stellt? (Immerhin herrschen Krisen und Kriege.)

Andreas Vitasek: Gefährlich ist es nicht, denn in Frage stellen soll man immer alles, aber es gibt sicher gerade brennendere Themen.
Wilhelm Krautwaschl: Etwas zu schenken, also ohne Hintergedanken zu geben, um jemandem eine Freude zu machen, ist essentiell für uns Menschen. Eine von Selbstbezogenheit und Neid getragene Gesellschaft will ich mir nicht vorstellen.
Markus Tomaschitz: Gefährlich ist das nicht, im Gegenteil: Gerade in schweren Zeiten ist Schenken ein schönes Zeichen.

Kann Schenken und Beschenken (noch) spannend sein?

Andreas Vitasek: Ja, aber es setzt ein gewisses Maß an Kreativität voraus.
Wilhelm Krautwaschl: Das ist sogar sehr spannend. Die Spannung beginnt beim Nachdenken über das Geschenk, wechselt zur Vorfreude angesichts der Übergabe, bei der es nochmal spannend wird. Wie wird die oder der, die Beschenkte reagieren? Zuletzt freut man sich gemeinsam.
Mama Feelgood: Schenken und beschenkt werden kann immer spannend sein, wenn man sich auf das Gegenüber einlässt und sich ehrlich Gedanken darüber macht, was der Person Freunde bereiten könnte, ganz klar! Mir taugts!
Markus Tomaschitz: Ja, vor allem Beschenken. Man macht sich Gedanken, womit man Freude macht. Und man freut sich sehr mit den Beschenkten.

Zahlt es sich aus, finanzielle Grenzen auszumachen?

Andreas Vitasek: Naja, es sollte nicht zum Kuhhandel ausufern. Oft zählt der Wille fürs Werk.
Wilhelm Krautwaschl: Beim Schenken sollte es aber nicht um den Preis einer Sache gehen, sondern um den persönlichen Wert. Viel wichtiger ist, was mit dem Geschenk verbunden ist – dass man jemanden mag, dass jemand wichtig ist.
Mama Feelgood: In meinem Freundeskreis gibt es glücklicherweise niemand, wo man Angst haben muss, finanziell übertrumpft zu werden, nur um zu beweisen, dass man es kann. Daher habe ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Mit Kolleginnen hatten wir einmal eine Wichtelgruppe, da gab es natürlich eine Grenze, das war auch lustig.
Markus Tomaschitz: Natürlich, klare Spielregeln helfen immer – insbesondere dann, wenn sich auch alle dran halten.

Wie kann man verhindern, dass Schenken zur Pflicht wird? (Kosten/Nutzen)

Andreas Vitasek: Man beschränkt sich gegenseitig auf ein bestimmtes Geschenksobjekt. Bücher z.B.
Wilhelm Krautwaschl: Man kann durchaus fragen, ob Geschenke noch gefragt sind. Viele haben ja schon alles. Man könnte sich auch wünschen, dass statt eines Geschenks gespendet wird für Menschen, die Hilfe brauchen. Oder: Was wäre mal mit geschenkter Zeit?
Mama Feelgood: Auch hier bin ich in der glücklichen Lage, dass meine Familie eigentlich nur aus mir und meinem Mann besteht. (Ok, seine Familie lebt in Wales und London, aber da kann man seit dem Brexit nichts mehr per Post schicken. So gesehen habe ich diese Pflicht nicht.)
Markus Tomaschitz: Indem man das Schenken an sich zum Erlebnis macht. Wird daraus eine Pflichtveranstaltung, merken das alle Beteiligten. Empathie, sich-mit-freuen-können und ein Geschenk, bei dem man merkt, dass man sich Gedanken gemacht hat, verhindern jeden Gedanken an Pflicht.

Die Welt entgleist durch sehr viele persönliche Ausnahmen, die sich jeder genehmigt. Helikopter-Skiing, Karibik-Inseln zu Weihnachten usw. Wie steuert man dem entgegen?

Andreas Vitasek: Ich finde, man sollte niemandem seine kleinen persönlichen Eskapaden verbieten.
Wilhelm Krautwaschl: Wir haben viele Möglichkeiten, „Ja“ oder „Nein“ zu sagen. Beides ist eine selbstbestimmte Entscheidung. Nicht alles, was geht, ist wichtig oder gar notwendig. Vieles wird sogar kritisch, wenn man die Konsequenzen des eigenen Handelns hinterfragt. Den eigenen, ökologischen Fußabdruck zum Beispiel.
Mama Feelgood: Ich schenke eigentlich schon seit 40 Jahren sehr viel Selbstgemachtes. Das erfordert zwar vorab Zeit, aber nimmt dem ganzen Überdrüber den Wind aus den Segeln.
Markus Tomaschitz: Die Freiheit des Einzelnen ist unser höchstes Gut. Daher sollte man niemandem vorschreiben, wie sie oder er zu leben hat. Unvernunft kann ja oft das Salz im Leben sein.

Andererseits: Die reine Vernunft darf niemals siegen, auch bei Geschenken, oder?

Andreas Vitasek: Vernunftgeleitete Geschenke sind oft emotionslos, deshalb kommt auch selten Freude auf.
Wilhelm Krautwaschl: In der Kirche sagen wir, dass wir Menschen aus Vernunft und Glauben leben. Denken wir an Jesus, der aus Liebe zu uns Mensch geworden ist und sich sogar kreuzigen hat lassen. Hätte er vernünftig gehandelt, hätte er flüchten müssen. Aber er hat sich, hat sein Leben verschenkt, damit wir Menschen eine Chance auf Erlösung haben. Schenken passiert in Kopf und Bauch.
Mama Feelgood: Na klar! Vernünftiges kauft man sich selbst, manchmal muss man auch ein bissl unvernünftig sein, oder?
Markus Tomaschitz: Eben. Lassen wir uns die Freiheit, selbst zu entscheiden, was wir für uns gut finden.

Heben Sie sich über das Jahr Geschenke (oder Ideen) auf, die Sie speziell zu Weihnachten realisieren?

Andreas Vitasek: Nein, ich bin ein Last-Minute-Shopper.
Wilhelm Krautwaschl: Tatsächlich kommt es vor, dass mir über das Jahr Dinge in die Hände fallen, bei denen ich mir sicher bin, dass sich jemand darüber freut. Das ist dann auch immer so und ich freue mich mit.
Mama Feelgood: Wenn ich unterm Jahr etwas sehe, von dem ich glaube, dass es einer bestimmten Person gefällt, schon. Nur bei meinem Mann kann ich meistens nicht so lange warten und gebs ihm gleich, haha!
Markus Tomaschitz: Ja, ich überlege mir oft, wenn ich etwas sehe, das wäre doch das ideale Geschenk für diese oder jene Person.

An welches Weihnachtsgeschenk können Sie sich noch gut erinnern?

Andreas Vitasek: An ein ferngesteuertes Auto, in dem die Batterie gefehlt hat. Eine Kindheitstragödie.
Wilhelm Krautwaschl: An die Carrera-Autobahn, die ich als Kind zu Weihnachten bekam. Die war nämlich schon beim Auspacken kaputt.
Mama Feelgood: Schi mit 12, obwohl ich davor nie Schifahren wollte. Erstes gemeinsames Weihnachten mit meinem Mann, wir haben uns u.a. gegenseitig ca. 30 Schallplatten geschenkt.
Markus Tomaschitz: Als ich 5 Jahre war, bekam ich einen Adidas Tango Fußball. Das war prägend.

In meiner Kindheit wurden noch „Gebrauchsgegenstände“ verschenkt. Heute kommt das Tennis-Racket so nebenbei mit. Demgegenüber gehen zu Weihnachten die Geschenkideen aus.

Andreas Vitasek: Ich glaube, selbstgestrickte Handschuhe und Hauben kommen wieder. Zwangsläufig.
Wilhelm Krautwaschl: Aus christlicher Sicht freuen wir uns zu Weihnachten über die Geburt Jesu. Daraus ist unser schöner, christlicher Glaube entstanden. Weihnachten in der Familie zu feiern – das hat schon was – durch die gemeinsam verbrachte Zeit und die Freude über das Weihnachtsereignis. Leider tritt dies zugunsten oft teurer Geschenke in den Hintergrund. Schenken ist sehr schön, aber gerade Weihnachten ist noch viel mehr.
Mama Feelgood: Im Zweifel geht immer Zeit. Davon haben wir meist zu wenig und es macht oft mehr ‚Mühe‘, ein paar Stunden als Geschenk abzuzwacken. Natürlich kauft man sich mittlerweile was man braucht, wenn man es braucht. Aber ich freue mich z.B. über jedes Küchenutensil, ich bin diesbezüglich wirklich leicht zu beschenken.
Markus Tomaschitz: Ja, mit dem Wohlstand einer Gesellschaft steigen die Preise der Geschenke.

In der Statistik bezüglich des Umtauschs liegen Selbstgebasteltes, Unterhosen & Socken oder Einrichtungsgegenstände weit vorne – überrascht Sie das?

Andreas Vitasek: Nicht wirklich. Es ist sehr schwer, den Unterhosengeschmack eines anderen zu treffen.
Wilhelm Krautwaschl: Vielleicht denken viele Menschen einfach zu kompliziert. Vielleicht ist eine Einladung auf einen schönen, gemeinsamen Abend, ein gutes Essen mehr wert als Dinge, die wir alle zur Genüge besitzen. Selbstgemachtes oder Gebasteltes würde ich nie unterschätzen. Da hat sich jemand echt Mühe gemacht und das ist sehr schön.
Mama Feelgood: Ja und nein – manche Menschen haben einfach zu hohe Erwartungen (oder kommunizieren ihre Wünsche schlecht bis gar nicht), andere bemühen sich auch kaum, sich in die beschenkte Person hineinzuversetzen.
Markus Tomaschitz: Zumindest bei Unterhosen & Socken nicht wirklich. Selbstgebasteltes würde ich nicht umtauschen, da steckt doch immer viel Liebe drinnen.

Vermutlich wird der Online-Handel weiter zulegen und dem stationären Handel Probleme bereiten. Der klassische Innenstadtbereich befindet sich dadurch weiter im Wandel. Wie wird eine Innenstadt in 10 Jahren aussehen?

Andreas Vitasek: Sie wird von einer Stadtmauer umgeben sein und der Eintritt wird nur über eine heruntergelassene Zugbrücke möglich sein. Aber auch nicht jedem.
Wilhelm Krautwaschl: Es wird weiter Kirchen geben, die uns an unseren Gott erinnern und damit an unsere Wurzeln. Und ich hoffe, dass sich noch viele Jahrhunderte Menschen in den Städten bewegen und andere Menschen finden, mit denen sie Leid und Freude teilen können. Und hier und da kleine Geschenke. All das gehört zu unserer Kultur.
Mama Feelgood: Das Hauptproblem ist wohl eher der Klimawandel, nicht der Online-Handel. Bei 45 Grad wird niemand mehr in die Stadt gehen, so oder so. Ansonsten hoffentlich autofrei mit genügend konsumfreien Sitzmöglichkeiten im Schatten.
Markus Tomaschitz: Das hängt davon ab, welche Erlebniswelten geschaffen werden und man die Stadt dadurch attraktiviert. Wenn man eine Stadt 2 Jahre mit Baustellen übersät, laufen zuerst die Kunden und dann die Unternehmer weg.

Moderation: Martin G. Wanko

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